20 Jahre Torfkurier, der Film






Mürrische Indifferenz

Wann werden wir konkret?

Von Götz Paschen

Über ‚mürrische Indifferenz‘ oder ‚trotzige Gelassenheit‘ ist viel diskutiert worden angesichts der Terroranschläge in Deutschland. Unabhängig von politischem Hintergrund und Ursachen bin ich Verfechter dieser Haltung unter einer Voraussetzung: Zielgerichtete Aktivität zur Abschaffung der Gründe für das Desaster. Kein politischer Diskurs, sondern konkretes Handeln. Es ist sinnvoll, im wildesten Getümmel die Ruhe zu bewahren. Und: Gleichzeitig alles dafür zu tun, das Getümmel wieder in ein lebenswertes Miteinander für alle umzubauen.

Mitgefühl
Bei allem politischen Kalkül werden im Ausland auch die Fotos von Dresden 1945 für Hilfe gesorgt haben. Wenn in Kapstadt aufgrund der Klimakatastrophe bald das Trinkwasser abgestellt und rationiert wird, klingeln bei mir die Alarmglocken. Wenn das mindestens zwei Leser interessiert, schreibe ich einen Artikel dazu: Mailen Sie Ihren Wunsch jetzt an goetz.paschen@torfkurier.de. Wenn anderswo wegen unserer Klimakatastrophe das Wasser knapp wird, können wir dann noch weiterleben wie bisher? Wir meint: Sie und ich und nicht die große Politik. Können wir weiterhin unseren Beitrag verweigern, die Katastrophe abzumildern.

Wohlstand
Können wir dann noch in den Urlaub fliegen? Pro Person 42 Quadratmeter bewohnen, ohne weitere Menschen mit ins Haus zu nehmen? Uns aus Bequemlichkeit einen Zweit-/Drittwagen leisten, anstatt mit der Nachbarschaft mehrere zu teilen? Kurzstrecken bis sechs Kilometer ohne Hagelschauer und Transportgewichte mit dem Auto zurücklegen? 59 Kilo Fleisch im Jahr essen? Wann beantworten wir diese Fragen konkret? Wenn es den Portugiesen an den Kragen geht und fünf Jahre später auch uns? Diese Fragen sind 2035 genauso breitenfähig ,wie heute Solarnutzung. Damit war man 1993 auch noch Außenseiter.

Fünf vor zwölf
In den 80er Jahren war es politisch immer Fünf vor Zwölf. Hektisches Gestikulieren scheucht eher Hühner auf als vernünftige Menschen. Innovative Ideen sind im besten Fall: Sozialverträglich, gut organisiert, Lebensgefühl entfaltend, nur bedingt hart beschneidend … Erstmal die Hektik raus aus dem Diskurs: Mürrische Indifferenz in der Haltung, nicht im Herzen. Es hilft in Kapstadt keinem (haben Sie die Mail schon geschrieben?), wenn Sie jetzt wegen der Wasserknappheit Geschrei veranstalten. Es hilft, wenn Sie die nächste Kurzstrecke zum Kontoauszugdrucker mit dem Fahrrad fahren. Das ist nichts? Sie unterschätzen den Faktor Masse.

Jeder Tropfen hilft
‚Jeder Tropfen hilft‘, sagte der Vater, dessen Sohn mit dem Schiff auf Grund gelaufen war, und pisste in den Arno (Fluss in der Toskana). Mir gefällt das Zitat. – Wer sein Phlegma pflegt, negiert seine Verantwortung. Alle anderen pissen jetzt mit dem Vater in den Arno, in der Hoffnung, eine vernünftige Welle zu erzeugen. Große Schlachten gewinnen wir nicht mit Zweifel und Verharren. In dem Bewusstsein, politisch aktiv zu sein, wird kleines Handeln relevant. Politische Orte sind Fahrradsattel, Gemüsestand, Vereinsehrenamt, Familienmittagstisch, Bahnhof, regionaler stationärer Handel und grundsätzlich alle Konsumorte. Wer bewusst handelt, verliert seine Ohnmacht. ‚Die da oben in Politik und Wirtschaft‘ kommen an aktiven Bürgern und kritischen Konsumenten nicht vorbei.

Lust abschneiden
Das will keiner. Nichts gegen vernünftige Versorgung. Aber Wohlstand ist nicht zwingend Vergnügen. Stellen Sie sich samstags an die Konsumpaläste und schauen Sie durch die Windschutzscheiben. Sehen Sie lachende Gesichter? Volle Konten, Chromglanz und schickes Essen, das soll es sein? Lebensglück entsteht durch menschliche Nähe und Erfolge. Die können auch handwerklich, sportlich oder musisch sein. Was hätten Sie lieber: Einen fünfstelligen Konsumgutschein oder die Kompetenz, Klavier zu spielen, wie der größte Könner in Ihrem privaten Umfeld?

Torftipp: Wohlstand neu definieren. Klavier leihen. Jetzt anfangen. Oder wöchentlich zweimal laufen gehen.