November
Der Unterschied
Mehr Zuwendung in VHS-Kursen.
Text/Foto: Götz Paschen
„Wenn
du in der Scheiße auf dem Boden sitzt, haben die Lehrer in der VHS sich
dazugesetzt und sind dann mit dir aufgestanden. Das ist besser als in
der normalen Schule. Klar kriegst du auch Noten, aber du wirst
menschlicher behandelt. Die Lehrer haben gesagt: ‚Ja komm, das packst
du.‘ Die waren näher an dir dran und haben sich um dich gekümmert. Sie
sind vor der Prüfung trotzdem entspannt. Das macht dir ein besseres
Gefühl. Du bist nicht so ganz alleine.“ Chiara Schramm (19) aus
Mulmshorn hat 2018 den Tagesrealschulkurs an der VHS Rotenburg
absolviert und die Prüfung bestanden. Inzwischen sitzt sie in der
Kivinan-Berufsschule Zeven und macht ihr Abi im Zweig Gesundheit und
Pflege. Der Stoff ist anstrengender. Es werden mehr Klausuren
geschrieben. Die Lehrer sind anders. „Die rattern das runter, und wir
müssen es in der Prüfung abliefern können. Jetzt bin ich nur eine
Schülerin. Vorher bei der VHS war ich auch der Schützling der Lehrer.“
MotivationNach
zwei Jahren Berufsfachschule im Bereich Hauswirtschaft hatte Schramm
wiederholt keine 3,0 erreicht. „Das war immer noch kein
Realschulabschluss. Ich wollte meinen Realschulabschluss machen. Mit
einem Hauptschulabschluss kommst du nicht sonderlich weit. Die
Schulsozialarbeiterin hat mir die VHS empfohlen.“ Da hat Schramm ihren
erweiterten Realschulabschluss erreicht, mit dem sie auf dem Gymnasium
weitermachen durfte. Die monatlichen VHS-Kosten hat ihre Mutter bezahlt.
„Der Deal war: Sie zahlt, es sei denn ich scheitere, dann muss ich ihr
alles zurückzahlen, rund 600 Euro.“
ZieleSchramm
will ihr Abi schaffen und Politik und Geschichte auf Lehramt studieren.
Sie interessieren Gesichte, Tagesaktuelles und Sachbücher. Plan B ist
Gesundheits- und Krankenpflegerin. Auch dafür braucht man den
Realschulabschluss. „Sogar als Mc Donald’s-Schichtführer brauchst du
den.“ Schramm hat nebenbei in Bockel an der Autobahn Burger montiert.
Aktuell arbeitet sie zusätzlich in Gyhum in der Küche der Rehaklinik.
„Ich bin in der Gastronomie geboren. Meine Eltern haben ein Restaurant.“
Ab 14 hat sie regelmäßig bei ihrem Vater geholfen und zu Hause ein
bisschen den Haushalt geschmissen. - Schramm guckt zum Halbjahr, wie das
mit den Noten aussieht, und entscheidet dann, wohin die Reise geht.
SelbstwertIn
dem Kurs Tagesrealschule saßen Leute von 16 bis 23 Jahren, mehr Frauen
als Männer, ein geringer Ausländeranteil, insgesamt eine bunte Mischung
aus dem Landkreis Rotenburg. „Einige haben das auch nur gemacht, um ihr
Selbstwertgefühl zu erhöhen. Viele fühlen sich jetzt besser, sind
selbstbewusster. Der Bildungsstand ist höher. Ich denke, es kann auch
ein Hauptschüler schlau sein und ein Gymnasiast komplett dämlich.
Menschlich sagt der Bildungsstand nichts aus.“
Prüfung und dannWichtig
sind die Schulanteile zur Berufsplanung: Bewerbungshilfe,
Praktika-Anbahnung, Kontakte herstellen, Ausbildungsmessebesuch,
konkrete Ansagen zu Bewerbungsgesprächen … Die Prüfung ist voll gültig.
Das Halbjahreszeugnis findet keine Berücksichtigung. Schramm hatte vier
schriftliche und drei mündliche Prüfungen für den ‚Erweiterten‘, weil
sie zwei Schriftliche vergeigt hatte. Zur letzten Mündlichen am
Hurricane-Donnerstag ist sie schon mit vollgepacktem Festivalauto
gefahren. „Ich wusste die Noten und hatte meinen Erweiterten schon in
der Tasche.“
Torftipp: „Der Tagesrealschulkurs ist kürzer
als der Abendkurs. Es ist einfacher, weil man im Normalrhythmus bleibt.
Beim Abendkurs braucht man mehr Selbstdisziplin.“