Juni
Tetraeder und Selbstüberwindung
Grandioser Ausblick und Hose voll.Text: Götz Paschen
Fotos: Morgenrot/pixelio.de und St. Kaczkowski/pixelio.de
Zur
Eingewöhnung: ‚Tiger & Turtle - Magic Mountain‘. Das
Treppenkunstwerk in Form einer Achterbahn steht in Duisburg-Angerhause
auf der Halde ‚Heinrich-Hildebrand-Höhe‘. Bis auf den Looping ist es
vollständig begehbar. Tiger & Turtle hat seinen höchsten begehbaren
Punkt auf 13 Metern. Die Stahlkonstruktion wackelt leicht, wenn andere
Gäste kernig aufsteigen. Der Blick auf Rhein, Stahl- und Klärwerk und
Duisburg ist phantastisch. Wer leichte Höhenangst hat, ist hier gut
aufgehoben. Das Monument ist eine gute Einstiegsübung, das Geländer hoch
und nachts vollständig LED-beleuchtet, was die ganze Halde in helles
Licht taucht.
TetraederNach dieser Vorübung geht es
nach Bottrop, der Stadt, die Sie immer schon besuchen wollten. Das
Kunstwerk ‚Tetraeder‘ steht wiederum auf einer Halde und bietet den
Blick auf die Kokerei Prosper und die letzte aktive Zeche
Prosper-Haniel. Schon die Besteigung der Halde über die lange Treppe ist
halbwegs sportlich. Der Haldengipfel wirkt wie eine Mondlandschaft: Nur
Steine und Weitblick. Allein dafür lohnt der Ausflug. Auch mit Rad oder
Rollstuhl ist diese Ebene über Serpentinen erreichbar. Eine gerade
Treppe führt im Tetraeder zur ersten Ebene und ist wegen der
‚undurchsichtigen‘ Lochblechstufen kein Thema. Dann kommt in 18 Metern
Höhe das erste Aussichtsdeck. Als ‚Boden‘ dienen offene Lichtgitter zum
Durchgucken auf die Schotterfläche unten. Vielleicht kennen Sie dieses
Gefühl im Magen. Dafür müssen Sie nicht zum Eiffelturm fahren. Mit
Bottrop sparen Sie 550 Kilometer. „Schauen Sie einfach geradeaus“, rät
mir eine nette Dame und räumt freundlicherweise ihren Platz am Geländer.
„Das ist alles nur im Kopf“, erklärt ein Absteiger von Ebene zwei, dem
das gar nichts ausmacht. ‚Ja, wo sonst, du Schlaumeier‘, denke ich.
AufstiegIch
blicke auf die weiß qualmende Kokerei und überlege, ob das nicht
vielleicht schon reicht an Ausblick. Netterweise sind die Ebenen und
Treppen an Stahlseilen aufgehängt und schwanken etwas im Wind. Wer
nüchtern bleibt, sieht ein solides Monument, deutsche Ingenieurskunst,
normale Stufen und den Weg nach oben. Die Geländer sind hochgezogen. Ein
junger ‚Türke‘ trägt seine Freundin auf die zweite Ebene wie einen Sack
Mehl auf der Schulter die Treppe hoch. Sie quiekt vor Angst. Ebene zwei
ist ein Rundlauf mit Innenloch in 32 Metern Höhe. Ein Vater hebt sein
Kind hoch über das Geländer, damit es runterwinken kann. Ich schaue weg.
Die Aussicht ist der nackte Wahnsinn. Sie reicht bis Duisburg,
Oberhausen, Essen, Gelsenkirchen und Gladbeck. Oder unten direkt auf
Zeche, Kokerei, Sommerrodelbahn und Skiabfahrthalle mit Solardach. Der
Blick durch das Gitter nach unten ist inzwischen so unwirklich hoch,
dass der Kopf sich daran gewöhnt hat.
Gipfel stürmenDie
vollverkleidete Wendeltreppe führt auf die dritte Ebene. Ein schief
hängender Rundlauf mit 8 Grad Neigung bietet ein phantastisches
Panorama. Netterweise ist der Boden hier aus blickdichtem Stahl. Die
Frage ist, wie oft in Ihrem Leben fahren Sie nach Bottrop. Wenn Sie dann
schon einmal hier sind, können Sie auch ganz hoch. Die Vernunft besiegt
die Angst, wenn man sich einredet, dass kein wirkliches Risiko besteht.
Es ist auch nicht ehrenrührig, sich beim Aufstieg krampfhaft am
Geländer festzuhalten, was die Treppe gar nicht erfordert. Andere Leute,
haben keine Kinder … Was wissen Sie, was die, die hier flott
hochspazieren, sich in ihrem Leben alles nicht getraut haben. Nach dem
Motto ,Mut wird belohnt‘ verweilen Sie auf dem Rundgang oben im
Tetraeder. Die Abraumhalden des Bergbaus haben Weitblicke geschaffen,
die es künstlerisch und monumental veredelt nun zu genießen gilt. Karge
Gipfel, schwindelerregende Aufstiege, großartige Aussicht in eine
Industriekulisse, die umfangreiche Transformation hinter sich hat.
Torftipp: Höhenangst überwinden.