Februar

Dänisch - Deutsch
Plus Italienisch und Französisch.
Text: Götz Paschen, Fotos: privat und Götz Paschen
„Morten
Jørgensen (48) ist Däne und fühlt sich als Europäer. Er ist in Odense
auf der dänischen Insel Fünen aufgewachsen. Sein Vater ist Däne, die
Mutter Italienerin. „Dreimal im Jahr sind wir in Italien gewesen. Ich
bin nicht bilingual erzogen. Ich verstehe Italienisch, aber ich spreche
es nicht fließend. Das hat mir echt gefehlt. Wenn ich das gehabt hätte,
wäre es toll gewesen. Mein Vater spricht auch Italienisch, also wäre
bilinguale Erziehung zu Hause kein Problem gewesen.“ Mit den Verwandten
in Italien hat Jørgensen Italienisch gesprochen. „Das ist besser
geworden. Ich verstehe ganz viel.“ Aber bilinguale Erziehung war kein
Thema. „Meine Mutter hatte mit Italien abgeschlossen.“ Alle zwei Jahre
im Urlaub kommt sein Italienisch wieder hoch. „Es ist zwischen Fremd-
und Muttersprache. Ich bin sehr verbunden mit dem Land und der Kultur.“
Die Verwandten leben als Weinbauern auf dem Land. Jørgensen hat
mitgeholfen bei der Ernte von Oliven und Weintrauben. Mit den alten
Tanten und Onkel Tomatensauce machen …
Gleiche GeschichteSeine
Frau Bettina ist Tochter eines Madagassen und einer Deutschen. Auf
Madagaskar spricht man Französisch und Malagasy. Bettina Jørgensen ist
ebenfalls nicht bilingual erzogen worden. „Französisch ist für sie eine
Fremdsprache.“ Gemeinsam haben sie ein halbes Jahr in Dänemark gelebt,
bevor das Paar wegen der Ausbildung nach Deutschland kam. „Bettina
spricht Dänisch fast fließend.“ Dann kamen die Kinder. „Ich habe gesagt:
Ich spreche mit denen Dänisch. Ich will sie zweisprachig aufwachsen
lassen. Weil Bettina Dänisch kann, hat sie immer alles verstanden. Sonst
wäre es komisch gewesen, glaube ich. Das wäre nicht gegangen.“ Für
beide war die Entscheidung klar: Ihre ‚Kinder‘ Louis (21) und Selia (18)
wurden zweisprachig erzogen.
Bilingual„Ich
habe immer Dänisch mit ihnen gesprochen, ab Geburt bis heute. Sie haben
immer auf Deutsch geantwortet. Ich weiß nicht warum. Ich wollte
dänische Antworten nicht einfordern. Das habe ich nie gemacht. Ich habe
in Dänemark gemerkt, es bleibt ja doch hängen. - Es ist eine verrückte
Geschichte: Wir sind in Dänemark. Ich wusste nicht, was können die
überhaupt so. Und die konnten plötzlich mit drei bis vier Jahren mit
meinen Eltern Dänisch sprechen.“ Sein Sohn Louis erklärt seinem
Großvater etwas auf Dänisch, dreht sich um und sieht seinen Vater und
redet auf Deutsch weiter. Auch das Spiel mit Cousins und Cousinen
funktionierte auf Dänisch reibungslos. Originell sind in allen
mehrsprachigen Haushalten die Tischsituationen. „Das Abendessen war bei
uns: Drei reden Deutsch und einer Dänisch. Das ist verrückt, was da im
Kopf so passiert.“ Seine Frau Bettina spricht bei Tisch Deutsch,
versteht aber auch Dänisch und seine Gespräche mit den Kindern. „Mit
meiner Frau allein spreche ich Deutsch.“ So wechseln sie in einem
Gespräch öfter die Sprache. „Wenn wir (deutschen) Besuch haben, spreche
im immer Deutsch.“ Jetzt, da die Kinder älter sind, passiert es öfter,
dass Jørgensen mit ihnen Deutsch spricht. „Aber beide wollen, dass ich
mit ihnen weiter Dänisch rede, weil es sich sonst komisch für sie
anhört.“ Für die Familie Jørgensen war das bilinguale Konzept immer
unproblematisch, weil eindeutig. „Kompliziert wird es, wenn du drei
Sprachen hast. Ich habe von Leuten gehört: Die wohnen in einem Land und
kommen aus zwei verschiedenen fremden Ländern …“
Chancen nutzenEs
gibt verschiedene Modelle von bilingualer Erziehung. Entscheidend sind
Sinnhaftigkeit und klare Linie. Variante eins: Eine Heim- und eine
Draußensprache. Variante zwei: Eine Vater- und eine Muttersprache. Das
Jørgensenmodell: Hin dies und zurück das ist schon speziell, scheint
aber auch gut zu funktionieren. „Ich wollte die Sprache an meine Kinder
weitergeben und die Möglichkeit, sich mit den Großeltern dort einfach zu
unterhalten. Mir fehlte die Sprache in Italien in der Tiefe für die
Unterhaltung.“ Beide Kinder haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Sein
Sohn Louis hat kürzlich ein halbes Jahr in Kopenhagen gearbeitet. „Die
zweite Sprache eröffnet dir viel mehr Möglichkeiten. Der wollte dort
leben und sein Dänisch vertiefen.“ Bevor man 22 Jahre ist, muss man
mindestens ein halbes Jahr in Dänemark gelebt haben, dann darf man die
doppelte Staatsbürgerschaft behalten. „Meine Tochter plant das auch.
Durch das Netzwerk dort gibt es viele Möglichkeiten.“ Für die Kinder
sind Deutsch und Dänisch gleichwertig. „Die Hauptsprache im Alltag ist
heute Deutsch. Trotzdem haben beide eine starke dänische Identität.“ Die
Zweitsprache findet hauptsächlich bei der Verwandtschaft und in
Dänemark statt.
AkzentLouis und Selia hätten auf jeden
Fall ein Heimatgefühl in Dänemark, aber man höre bei ihnen schon den
deutschen Akzent. „Die Kopenhagener haben gedacht, Louis kommt aus
Jytland, einem anderen Teil von Dänemark. Die Mundarten sind ähnlich
verschieden wie in Nord- und Süddeutschland.“ Sein Ziel war eigentlich,
auf Englisch in Dänemark zu studieren, aber es gab nicht genug englische
Studiengänge. „Jetzt wird er drei Jahre in Holland und dann das letzte
Jahr in Dänemark studieren.“ Der Lebenslauf bleibt also europäisch.
Großeltern
Drei-
bis viermal jährlich ging es nach Dänemark. „Meine Mutter freut das
total, dass beide Enkel dänisch sprechen. Dass sie auch dort mit den
Großeltern alleine sein und alles verstehen konnten. Das hat den Kontakt
viel leichter gemacht. Die Kinder haben gemerkt, dass sie mit der
Sprache auch konkret etwas anfangen können. Wenn es einen Sinn oder
Gebrauchswert hat, kann man als Kind die bilinguale Erziehung besser
akzeptieren.“ Jørgensens Bruder hat drei Kinder im gleichen Alter. „Mit
denen haben sie immer gespielt und sich unterhalten können. Das zu
sehen, finde ich toll. Mir war nicht klar, was bleibt überhaupt hängen
bei denen. Du stehst daneben, und die fangen an Dänisch zu reden im
Alter von drei bis vier. Und du hast das noch nie gehört. Woher wissen
die diese Wörter und komplizierten Sätze?“
Gut aufgestellt
Gibt
es Schul-, Studien- oder Berufsvorteile? „Sie haben beide zu
Fremdsprachen einen leichteren Zugang und können sie leichter aufnehmen.
- Die beiden haben mehrere Möglichkeiten, sind nicht auf Deutschland
begrenzt und kennen noch ein Land, das ihnen offen steht.“ Louis hat für
den Vater eines Freundes einmal etwas Geschäftliches übersetzt.
Ansonsten wird die Zukunft zeigen, wo die Vorteile sind. „Wenn sie hier
unter Leuten waren, war Dänisch die Geheimsprache der Kinder, oder
woanders im Urlaub.“ Manchmal fahren sie heute mit Freunden zum
Ferienhaus der Großeltern. „Man kann das Land schon anders zeigen, wenn
man den Bezug dazu hat.“
Babylonisch?
Führt das nicht
zur Sprachverwirrung, wenn in einem Haushalt Dänisch und Deutsch als
Muttersprachen fungieren. Französisch und Italienisch als
Großelternsprachen noch dazukommen. Und Englisch obligatorische
Schulbildung ist? Die Jørgensens kommen damit klar. „Im Moment behalte
ich mein Dänisch bei Tisch noch bei. Zu dritt ist es mehr auf Deutsch,
auch wenn ich mit Bettina spreche. Meine Tochter fordert mich wiederholt
zum Dänisch auf. Das ist bei ihr einfach Gewohnheit und wirkt sonst
fremd. Manchmal machen wir einen dänischen Abend am Tisch. Oder im
Urlaub sprechen wir alle die ganze Zeit Dänisch. Das ist auch schon
vorgekommen.“ Vor Freunden fanden die Kinder die bilinguale Erziehung
nie peinlich. „Normal spreche ich dann Deutsch.“ Und fluchst du denn
wenigstens in deiner Muttersprache? „Ich fluche wenig und wenn dann
Italienisch. Da gibt es so schöne geile Ausdrücke. Die haben wir
natürlich als Kinder als erstes gelernt.“
Torftipp: Bilinguale Erziehung? Bei zwei reinen Muttersprachlern im Land einer der beiden Sprachen: Machen.