Februar
Pflanzenfärbung, Siebdruck und Ideen
Wie Elena Ferens zufällig Modeproduzentin wurde.
Text / Fotos: Götz Paschen
Elena
Ferens (29) wohnt in Narthauen über dem Demeter-Hof Bielenberg und
betreibt dort eine Schneiderei. Das war ursprünglich nicht geplant.
Eigentlich ist sie nach Ottersberg gekommen, um Kunsttherapie zu
studieren, aber der Erfolg kam ihr dazwischen: „Ich wollte hier
studieren, aber dann kam das mit der Mode und hat sich gut verkauft, und
ich dachte, studieren kann ich immer noch. Ich hatte ganz viele
Anfragen, habe ein Gewerbe angemeldet und verkauft, und seitdem läuft
das.“ Die Gründung fand nicht in einer Garage statt, sondern auf dem
Flohmarkt und in den sozialen Medien. „Auf dem Flohmarkt habe ich eigene
Kleider, die ich genäht habe, verkauft und auf Facebook präsentiert.
Einmal habe ich ein T-Shirt zerschnitten und neu zusammen genäht, und
auf einmal hatte ich 20 Anfragen. – Es war ja nicht geplant. Bei
Facebook hatte ich ‚Fräulein‘ als Namen. Später hieß es: ‚Das ist ein
T-Shirt von ‚Fräulein‘‘. Der Name war schräg und bescheuert. Der ist
nicht international, weil wir auch international verkaufen. Und der Name
musste weg.“ Viele geben bei Facebook nicht ihre Echtnamen an. 2015 bis
2019 hat Ferens unter der Marke ‚Fräulein‘ produziert. Heute heißt ihre
Marke ‚Zmeya‘. „Dann habe ich 2019 die Nähhilfen eingestellt.“ Sie kam
alleine mit dem Nähen nicht mehr hinterher. Der Verkauf expandierte:
Erst Deutschland, dann EU-weit und dann auch international. Für ‚Zmeya‘
hat sie sich 2020 die Markenrechte eintragen lassen. „Wir hatten in der
Vergangenheit Probleme mit den Chinesen, die unsere Fotos geklaut hatten
und das mega beworben haben. Man kann da nichts gegen machen.“
KasachstanMit
drei Jahren ist Ferens aus Kasachstan nach Deutschland gekommen.
„Unsere Vorfahren waren Deutsche. Meine Oma ist eine ‚Schwarz‘ und
sprach Plattdeutsch und Russisch als Mix.“ Seit 1995 ist sie in
Deutschland. Ihr Mädchentraum war eigentlich, Anwältin zu werden. „Meine
Eltern haben immer gesagt ‚Ihr müsst was werden.‘“ Schon als Kind war
sie auch künstlerisch aktiv, hat Kleider zerschnitten von Hand umgenäht
und upgecycelt: Aus Resten etwas Höherwertiges zu machen, lag ihr. Ihr
schulische Ausbildung war eine Fusion aus Produktdesign, Farblehre,
Typografie … Heute ist sie ‚selbsternannte Schneiderin‘, wie sie es
nennt und hat bei ihren Praktika den Meistern genau auf die Finger
geschaut. Die junge Frau ist nun also Inhaberin von Zmeya, einem
Onlineshop mit eigenen handgemachten Sachen, einer Kombination aus
Handwerk und Vertrieb.
AvantgardeDie
Schneiderin nennt ihre Kleidung ‚Avantgarde slow fashion‘. „Slow
Fashion ist eine Bewegung. Die Jugend achtet auch bei Kleidung bewusster
auf Nachhaltigkeit.“ Die ‚Avantgarde‘ ist den Chinesen geschuldet, um
sich von billiger Massenproduktion abzugrenzen. „Die Industrie weiß,
dass Nachhaltigkeit sich vermarkten lässt. Aber wie kann so eine Hose
dann 50 Euro kosten? Das glaube ich nicht. Das kann nicht vertretbar
sein. Auch bei großen Mengen nicht. Da bin ich immer sofort skeptisch.“
Wir sind hier also auch gleich bei Arbeitnehmerrechten in den
Herstellerländer und fairer Bezahlung. Sie selber beantwortet die
Fairnessfrage mit Transparenz über soziale Medien: „Unsere Videos
findest du online. Ich bringe fast täglich Storys aus der Werkstatt auf
Instagram, gekoppelt mit Facebook. Die Leute können sich angucken, was
wir hier machen.“
Traummarke‚Zmeya‘
ist Russisch und heißt übersetzt Schlange. Wie kommt man auf so einen
Namen? „Ich habe geträumt, und eine blau schimmernde Schlage hat mir
direkt in die Augen geguckt.“ Da wusste sie, dass das die neue Marke
wird. Die russische Übersetzung sei aufgrund ihrer Wurzeln naheliegend.
„Ich habe es eingedeutscht. Ich kenne das Essen und die Lieder aus
Russland. Aber ich bin einfach deutsch.“ Für sie steht die Schlange für
Wiedergeburt. Wo findet sich die Wiedergeburt bei ihr wieder? „Ich habe
alleine als kleine Handwerkerin genäht. Ich hatte Angst und habe
gedacht, ich müsste immer alleine arbeiten. Ich wollte nicht alleine
bleiben in meiner Werkstatt.“ Jetzt sind sie in ihrem Atelier zu viert.
Das ist neu. „Der Prozess ist anders. Die Vibration ist auch anders seit
einem Jahr mit den Frauen hier.“ Wo verortet Ferens sich kulturell?
„Mein Humor ist sehr russisch.“ Russisches Essverhalten, Festlichkeiten …
all das ist ihr vertraut. Aber Freunde, Wohnen, Sprache und Lebensstil
sind deutsch. „Die Russen leben nicht so nachhaltig.“ Auch ihre
Sozialisation ist – wenn auch speziell – so doch deutsch: „Punkrock! Ich
hatte einen Oldtimerfeuerwehrwagen und einen punkigen Freund. Das war
mein altes Leben.“
Stilfrage„In
den Mustern auf der Kleidung findet man meine Herkunft wieder. Ich
poste auch viele Stories mit traditioneller Musik auch alten slawischen
Liedern.“ Ferens Wurzeln prägen ihren Textilstil und ihren
Onlineauftritt. Sie ist instinktsicher in ihrer Präsentation und erzählt
ihre Geschichte gut. Wer seine Geschichte nicht gut rüberbringt,
erreicht keine vernünftige Reichweite. Marketingmäßig ist Zmeya äußerst
professionell aufgestellt. Und das ist zentraler Bestandteil des
Erfolges. „Ich benutze auch Muster, die auf den Jurten unserer Nomaden
zu finden waren. Das ist der Stil.“ Eine andere Inspirationsquelle für
das Design ist für sie die Natur: „Ich gehe spazieren und gucke mir im
Herbst die Farben der Blätter auf dem Boden an. Meine Patchworkgürtel
sehen aus wie Baumwurzeln. Und wir bedrucken Kleidung mit floralen
Ranken.“ Und sie guckt sich andere Leute an: „Ich war ja früher ein
Festivalgänger. Verrückte Leute anzugucken, finde ich geil. Oder: Was
tragen die auf dem Flohmarkt? – Man hat mit dem Gucken immer was zu
tun.“ Während Corona schaut sie sich online Bilder an oder
Mittelalterfilme mit historischer Kleidung: Lange Kleider mit Schärpe …
ZielgruppeZmeya
bietet junge Mode für Frauen von 20 bis Mitte 30 und nur
Konfektionsgrößen von Größe 34 bis 42, also ‚S‘ bis ‚L‘. „Junge Frauen
können ihre Wespentaille ruhig zeigen. Das sieht doch gut aus. Es machen
auch Leute Slow Fashion für ältere Frauen. Für jeden gibt es den
passenden Schuster.“ Figurbetontere Kleider müssten anders konzipiert
werden, als Kleider für Frauen, die schon vier oder fünf Kinder haben.
„Die Frau soll darin ja auch gut aussehen.“ Viele sagen ihr, dass sie es
mit ihrer Figur nicht tragen können. „Auf Anfrage, wenn da jetzt jemand
übelst verzweifelt ist und keine Ruhe gibt, dann machen wir auch mal
einen Auftrag. Dann müssen die mich aber schon überzeugen, dass sie das
brauchen. – Die Frau muss sich nicht in einen Schlauch reinstecken, in
dem sich eine stärkere Frau nicht wohl fühlt.“
FototermineDer
Zmeyastil geht Richtung Dreadlocks, Tattoo, Piercing, „alternativ,
Mittelalter und Waldorfmamas mit Wollwalk.“ Ursprünglich war die
Schneiderin selbst ihr einziges Modell. Wenn sie selber die Kleider
präsentiert, spart das Kosten und macht auch Spaß. Und wer fotografiert?
„Ich selber. Früher haben meine Mitbewohner das gemacht. Dann habe ich
den Selbstauslöser entdeckt. Das geht ratzfatz.“ Viele ihrer Fototermine
macht sie in der freien Natur. „Stativ, dicke Tasche mit Klamotten,
geschminkt … dann laufe ich da rum. Die Spaziergänger denken auch, ‚was
für ein verrückter Vogel.‘ Wenn einer kommt und ich da halbnackt auch im
Herbst und Winter mit den Klamotten auf meiner Decke sitze.“ Ihr
Standardfotoort ist allerdings die Bretterwand in Bauer Bielenbergs
Scheune in Narthauen. „Kürzlich hat Bauer Bielenberg die Kartoffeln vor
meine schöne Fotowand gestreut. Ich warte schon, bis die fünf Tonnen
Kartoffeln da wieder raus sind.“ Oft warnt Bielenberg sie rechtzeitig
vor: ‚Elena, wenn du noch ein Shooting machen willst, dann musst du das
jetzt machen. Ende der Woche kommen die Kartoffeln rein.‘ Mittlerweile
ersetzt ihr Freund häufig den Selbstauslöser.
ModelleDie
Fotos sind professionell und die Modelle passen zum Stil. Wenn die
Modelle keine Erfahrung haben, dauert es länger. „Man muss schon so
stehen, dass die Kleider richtig präsentiert werden. Ich mache es nur
selber, weil es am schnellsten geht und am günstigsten ist. Wenn
Zeitdruck ist, mache ich es am liebsten selbst, aber ich versuche auch,
viel abzugeben. Und wenn es geil ist, freue ich mich darüber.“ Am Anfang
haben sich die Kundinnen beschwert, als andere Gesichter bei Zmeya mit
der Kleidung auftauchten. Ferens dachte damals ‚Scheiße, das muss ich
jetzt mein Leben lang machen. Und wenn ich alt werde? Was mache ich
dann?‘ Die Kundinnen wehren sich gegen Veränderungen. „Aber ich habe da
nicht immer Bock drauf.“ Bald wird es auch schwierig, weil ihr Sohn ein
Geschwisterchen bekommt. „Die Kundinnen haben das gerochen. Eine
schrieb: ‚Darf ich dich was fragen: Sag mal, bist du schwanger?‘“ Damit
wäre ihre Modellphase bei diesen Kleidergrößen vorerst erledigt.
Rechtzeitig hat Ferens für Kolleginnen gesorgt. „Die Models sind so, wie
ich es mag. Freundinnen oder Studentinnen, die ich gefunden und gefragt
habe, ob sie nicht Lust haben. – Manche können das echt gut.“ Als
größten Aufwand beschreibt die Schneiderin die Suche nach geeigneten
Fotoorten: in Bremen im alten Kellogsgebäude, in Buchholz zwischen den
Kratteichen, die Sanddüne in Everinghausen, eine Kiesgrube …
„Bauarbeiter wollten uns vertreiben: ‚Was macht ihr hier?‘ Da hat sich
das Modell auch gerade umgezogen. Und der hat nur auf den Boden geguckt.
‚Wir wollen nicht baden gehen und den Müll da lassen. Wir machen ja
nichts kaputt, nur Fotos.‘“
StoffeIhre
Stoffe bezieht Ferens als Rollenware von deutschen Händlern, die auch
importieren und teilweise Umwelt- und Fairnesssiegel tragen wie das der
‚fair wear foundation‘. Das Siegel steht für folgende Stichpunkte:
Gewerkschaft möglich, keine Diskriminierung, keine Kinderarbeit,
angemessene Löhne, Höchstarbeitszeitgrenzen, sichere und gesunde
Arbeitsplätze und legale Verträge. Weitere Standards anderer
Zmeya-Lieferanten sind der ‚OCS – Organic Content Standard‘ oder
‚Öko-Tex 100‘. Allerdings schreibt ihr Lieferant ‚HempAge‘ zu seinem
Hanf: ‚Da Hanf wie ein Unkraut ohne jede Zugabe von Pestiziden oder
anderen schädlichen Chemikalien wächst, sehen wir keine Notwendigkeit
unseren Hanf zertifizieren zu lassen. Unser Hanf kommt von einer
Vielzahl von Kleinbauern. All die Kleinbauern zu zertifizieren, würde
unnötig Kosten erzeugen, ohne dadurch Mehrwert für Qualität oder Umwelt
zu erzeugen.‘ Gute Hanfstoffe kriege man noch nicht in großer Menge aus
deutscher Produktion, erklärt Ferens. „Der Hanfanbau wird in den
nächsten 20 Jahren in Deutschland noch kommen. Hanf ist einer der
langlebigsten Stoffe und superreißfest. Wenn du mit einer Hanfjacke
irgendwo hängen bleibst, reißt die nicht.“ Baumwollstoffe brauchten viel
mehr Ressourcen als Hanf. Man findet beispielsweise Angaben von der
vier- bis achtfachen Menge an Wasser. „Stoffwindeln aus Hanf würden ewig
halten. Da kannst du zehn andere Babies auch drin wickeln. Der saugt
wie Baumwolle, kann das Gleiche, ist aber in allem besser.“
FasernZu
ihren verwendeten Stoffen liefert Ferens jeweils ein Kurzportrait:
„Bambus ist elastisch, wächst megaschnell und ist für den Sommer
optimal.“ Bei der Herstellung von Bambus handelt es sich um ein
Viskoseverfahren. „Viskose ist auch schön für den Sommer, weil die Faser
eigentlich ein natürlicher Zellstoff ist.“ Das Ausgangsmaterial sind
Holzfasern, die durch ein aufwändiges chemisches Aufschlussverfahren
gewonnen werden. „Unsere Baumwolle ist sehr elastisch. – Wollwalk
besteht aus gewalkter und gekochter Wolle. – Leinen ist in Deutschland
sehr viel vertreten, für unsere Schnitte allerdings schwer zu
verarbeiten.“ Ein elastischer Stoff ist der Hanfstoff, ihr Schwerpunkt,
weil er auch schön anschmiegsam ist. Elastan ist eine elastische
Kunstfaser. „Am besten ist es für die Umwelt, eine reine Faser ohne
Mischmasch zu verarbeiten. Gut hergestellt und gut vernäht kann man es
auch vertreten, wenn man für Ewigkeiten produziert und einen
Elastananteil verarbeitet.“
FärbenDas
Färben der Kleider ist ein aufwändiger Schwerpunkt der Produktion in
Narthauen. „Je weniger die Lieferanten an den Stoffen rumfärben oder
veredeln, desto besser ist es. Ich versuche, das unbehandelte
Naturprodukt zu bestellen. Möglichst wenig gefärbt, dass ich das selber
machen kann.“ Es geht um geringe Belastung der Kleidung, trifft aber im
Design auch eher ihren Geschmack. Viele Kleidungsstücke färbt die
Schneiderin nach der Produktion selbst. Sie sammelt in einem Eimer
rostiges Eisen vom Hof und übergießt es mit Wasser. Durch chemische
Reaktion entsteht die Beize für den Stoff. „Die Beize raut die Faser
auf, damit sie die Farbe besser aufnehmen kann.“ Das passiert im Eimer
oder im Waschbecken. Gefärbt wird dann im Einkochtopf. „Den habe ich auf
dem Flohmarkt gekauft. Mein Kind haben wir da in den Topf gesetzt, und
die Männer haben ihn nach Hause getragen.“
FarbstoffeEin
hübsches Rot gewinnt man aus Annattosaat. Der Strauch wird auch Urucum
genannt, oder Orleanstrauch und diente den Indianern als Kriegsbemalung,
meint Ferens. Das Verfahren ist langwierig: Die Saat ein paar Stunden
auskochen, über Nacht stehen lassen und noch einmal auskochen. Absieben,
sonst hat man Pflanzenteile an dem Stoff. Das Bekleidungsstück darin
auskochen. „Man muss aufpassen, dass es nicht anbrennt.“ Eine Woche
ziehen lassen. „Der Prozess dauert mindestens eine Woche, wenn es
richtig gut werden soll. Nach ein bis zwei Tagen hat man auch schon ein
schönes Farbergebnis. Meist koche ich ein ganzes Outfit auf einmal.“
Schicke Naturfarbstoffe gibt es aber nicht nur in Brasilien. „Rote Bete
oder Zwiebelschalen zum Färben kriege ich von Bielenbergs, und wenn es
aufgekocht ist, kriegen das nachher die Kühe zum Fressen.“
Waschecht?„Bei
Roten Beten kannst du alles nehmen, auch die Blätter.“ Ferens
verarbeitet sie feucht, weil sie dafür keinen Trockner hat. Mit Zwiebeln
färbt man gelb oder braun, je nach Menge. Wenn Volker Bielenberg die
Zwiebeln für den Verkauf hübsch macht, sind die äußeren Schalen übrig.
„Dann liegt der Hof voll mit Schalen. Ich habe säckeweise Schalen im
Lager. Die Kolleginnen anderswo sammeln das topfweise, ich kann das hier
in der Saison säckeweise haben. Zwiebelschalen kannst du trocken ein
Jahr lang lagern.“ Wie waschecht ist diese Naturfärbung in der
Waschmaschine? „Es ist Pflanzenfarbe. Ich würde handgefärbte Sachen für
faule Leute im Wollwaschprogramm laufen lassen mit pflanzlichem
Waschmittel oder Ökowaschmittel. Dann halten die Farben.“ Die
Käuferinnen kriegen eine Waschanleitung mitgeliefert. „Bisher hat sich
keine beschwert.“ Wer Handgefärbtes kauft, der weiß, worauf er achten
muss, damit es lange schön bleibt. „Wir färben viel selber, aber wir
haben auch Sachen von der Rolle. Einige Farben kriegt man nicht so hin.“
Ferens rührt gern in ihren Pötten und hat Spaß an dem Aufwand, aber
ihre Räume begrenzen die Möglichkeiten. „Ich wohne ja hier. Ich würde
gerne eine noch größere Sauerei hier machen.“
QualitätBei
der Wortwahl klingen noch Reste von Punk durch. Dagegen hört sich der
Qualitätsanspruch der jungen Frau preußisch an. „Es ist gut, wenn hier
alles entspannt aussieht, aber die Qualität muss sein. Da bin ich ganz
engstirnig. Bei mir wissen die Näherinnen, dass ich auf Leistung Wert
lege.“ Sie nähen alles selber, plus teilweise Druck und Färbung. Es geht
familiär zu bei Zmeya. „Ich habe bald zwei Kinder. Wenn die Frauen
nähen, stört die das nicht, wenn mein Levin sie volllabert.“ Sie will
das Atelier nicht auslagern. „Ich muss das auch sehen, was die
herstellen. Bewerber sind verdutzt, wenn sie hier reinkommen.“ Bei den
Entwürfen spielt viel Intuition eine Rolle. Dann stehen sie manchmal
gemeinsam am Tisch und tüfteln etwas Neues aus, „die Schneiderinnen und
ich in meiner Höhle.“ – „Ich mache die Schnittmuster zu 95 % selbst. Ich
habe eine Freundin, die ist professionelle Schnitterstellerin. Sie war
Schnittdirektorin und hat das gelernt.“ Die Freundin hatte eine eigene
Firma mit Schnitten für Dessous. „Das ist die Meisterklasse, aber sie
kann natürlich auch sowas.“ Sie war für die Industrie tätig, ist heute
in Rente und sagt: ‚Ich wollte damit gar nichts mehr zu tun haben.‘ Die
hört sich Ferens Probleme an, wenn es mal gar nicht mehr weitergeht:
‚Ich habe mit dem Teil genug Fehler gemacht, du musst mir jetzt wirklich
helfen.‘
Wachsen?„Wir
haben nicht das Problem, dass wir nicht genug verkaufen. Wir haben das
Problem, dass wir nicht genug produzieren. Aber ich kann mich nicht
damit anfreunden, das wegzugeben an die Industrie oder ins Ausland. Der
Spaß geht dann weg. Die Qualität von 300 Exemplaren kann ich dann nicht
garantieren. Ich habe auch keinen Bock darauf.“ Ferens Vater arbeitet im
Qualitätsmanagement. Er war auch in China und hat ihr von seinen
Erfahrungen berichtet. Als sie einmal Aufträge an eine andere
Schneiderei abgegeben hat, hat sie Schnitte, Stoffe und einen Prototyp
mitgeliefert. „Trotzdem hat die Schneiderin es anders gemacht. Zwar gut,
aber anders.“ Man steckt auf diesem Weg viel Energie in die
Kommunikation, wenn man nicht nah dran ist. Die Entscheidung ist bisher
immer zugunsten der eigenen Werkstatt gefallen: In Kleinstauflagen, die
limitiert sind, nähen sie hier fünf bis acht Stück pro Design und von
einem richtigen Dauerbrenner auch mal zwölf. „Es kommen auch neue
Entwicklungen, die wir antesten. Was läuft, bleibt drin. Wenn nicht,
machen wir es nicht mehr. Oder Schnitte kommen wann anders in
Variationen wieder.“
OnlineFerens ist ganz zufrieden
so. „Da müssen hier alle von leben können. Ich will nicht reich werden.
Was ist der Preis dafür? Das muss man sich fragen?“ Wachstum ist nicht
ihre zentrale Motivation. „Es kommt immer Druck von außen: ‚Ich habe
wieder nichts abgekriegt.‘“ Das melden Kundinnen, die sich sogar den
Wecker für das Shopupdate bei Zmeya stellen. Die Aktualisierung im
Onlineshop findet immer einmal im Monat freitags um 20 Uhr statt. „Zehn
Minuten nach dem Termin ist das Beste immer schon weg. – Wir gucken,
dass wir 100 bis 120 Teile zusammen haben.“ Ein monatliches Update sei
besser. „Alle Fotos auf einmal hochzuladen, alles auf einmal zu
versenden. Das spart viel Zeit. Die Aktualisierungswoche davor ist viel
Aufwand.“ Ferens sitzt dann täglich acht bis neun Stunden nur vor dem
Computer. „Ich habe nicht mal Zeit für einen Tee. Levin ist in der Woche
in der Betreuung. – Aber es ist geil, wenn man immer die Deadline
schafft, und man schafft sie immer.“
ErfolgFrüher
war an dem Freitag immer alles direkt ausverkauft. Heute sind 80 % der
Ware direkt ausverkauft. Ferens nutzt Facebook und Instagram zum
Anwerben und hat dort 15.000 Follower, werde aktuell aber nicht mehr von
allen gesehen. Sie vermutet, dass die Kanäle bei den Kunsthandwerkern
den Algorithmus geändert haben, um sie verstärkt in die bezahlte Werbung
zu kriegen. Sie postet regelmäßig Nachrichten aus dem Atelier. „Aber
nicht täglich. Ich habe ja auch noch ein Privatleben.“ Nach dem
monatlichen Freitag packt sie montags und dienstags danach gut 50 Pakete
und beschriftet sie per Hand. Sie bündelt ihre Arbeiten gerne, damit
sie was schafft. Trotz aller Effizienz schätzt die Schneiderin die
Arbeit in ihrem gemütlichen Frauenkollektiv, wie sie es nennt. Nett sei,
wenn die Nachbarinnen vor Weihnachten für ihre Töchter vorbeigucken.
Oder wenn „auf einer Überweisung ein Doktor Irgendwas als Kunde steht.
Das wird wohl ein Geschenk sein.“ Ein eigenes Atelier, in dem nur noch
Muster erstellt werden und Serienstückzahlen im Ausland, dafür kann die
Kreative sich nicht erwärmen.
AngebundenDie
Vertriebsstruktur hat sich über Facebook entwickelt. Erst später kam
eine eigene Homepage mit Shop dazu. „Social Media transportiert die
Geschichten, und den Verkauf macht die Homepage.“ Klingt alles nach
Erfolg und geschmeidig. Macht auch Sinn, aber das Unternehmertum und die
damit verbundene Verbindlichkeit schränken Ferens noch mehr ein als
Junior Levin. „Ich komme durch das Ding nicht mehr so viel raus.“ Sitzt
sie im Sommer einmal am Otterstedter See, bastelt sie Schmuckstücke aus
Perlen für den Shop. „Die habe ich da auch reingesetzt. Ich kann nicht
mehr rumsitzen und nichts tun.“ Das gelingt trotzdem noch beim Tee und
Politikgespräch bei Bauer Bielenberg auf der Diele. Wer ausverkauft hat,
muss nicht auf Festivals anbieten. „Wir haben Festivalanfragen zum
Beispiel vom ‚Living Village‘ in Holland. Das kann man mal aus Spaß
machen, mit den Kindern zum Festival zu fahren, auch um den
Mitarbeiterinnen Abwechslung zu bieten. Aber ich bin nicht so der
Ladensteher.“ Ferens hat eine einfache Kalkulation, weiß was diese Art
Kleidung kosten kann und kennt den Aufwand. Schon das Bedrucken der
Stoffe ist nicht ohne, wenn man nur Kleinserien herstellt. „Hinter den
Mustern steckt auch eine lang ausgetüftelte Idee. Für die
Siebdruckplatten brauche ich manchmal drei bis vier Anläufe.“ Sie
zeichnet mit dem Tablet oder digitalisiert Zeichnungen. „Ich habe immer
gezeichnet. Zeichenunterricht war ein Hauptfach in der Kunstschule:
Photoshop, Illustrator …“ Dann folgen Ausdruck, Belichtung und
Siebdruck. Sie spricht vom „Schiss vor dieser Technik“, traut sich aber
trotzdem an alles ran. Vielleicht sind ihr Mut und die Hartnäckigkeit
der Grund, dass es Zmeya als Unternehmen überhaupt gibt.
MaschinenIn
ihrer Nähstube steht eine Nähmaschine mit Gradstich, „die kann kein
Zickzack, die kann nur geradeaus.“ Daneben eine Versäuberungsmaschine,
„die umrahmt die Innennaht, damit die sich nicht wieder auflöst.“ Und
eine Overlockmaschine, „die macht so hübsche T-Shirtversäuberungsnähte
zum Beispiel am Kragen vom T-Shirt, damit es professionell aussieht.“
Die Rollsaummaschine sorgt für einen welligen Saum an Kleidern und
Röcken. Ihre neuen ‚Juki‘-Nähmaschinen sind polnische
Industriemaschinen. „Die waren supergünstig. Eigentlich muss ein Monteur
mitkommen. Den habe ich mir gespart. Voll das Schnäppchen! Und Polen
ist ja relativ nah dran.“ – Aber leider war ein Haken dran. Alles kam in
Einzelteilen. Den Monteur brauchte man wirklich. Ein befreundeter
Rentner und Fahrradmechaniker sollte nur helfen, die drei Pakete
hochzutragen. Schon das Format kam ihr komisch vor. Bis klar war, dass
man die Maschinen komplett zusammenbauen musste. „Es gab nur eine
chinesische Anleitung. Der Rentner hat hier mit mir vier Nächte dran
gebaut. Es lagen überall Einzelteile von den Maschinen rum.“ Der
Bekannte meinte nur: ‚Ja, wir kriegen das schon hin.‘ „Ohne den hätte
ich das nicht geschafft.“ Sie haben sich Videos von der Maschine auf
YouTube angeguckt und immer wieder auf Stop gedrückt, um zu sehen, wie
ein Teil zum anderen gehört. Er hat ihr eine kleine Rechnung
geschrieben, und sie hat ihn später gefragt: „Darf ich die zweite
Maschine auch noch bestellen?“
AlltagTäglich sitzt
Ferens am Rechner, um die E-Mails der Kundinnen nett zu beantworten.
Montags ist der wöchentliche Paketversand, alles auf einen Schwung. Die
Besteller der Woche müssen immer bis Montag warten. Für Social Media
macht sie oft täglich Storys mit dem Handy. Die Schneiderin arbeitet
aber auch mit einer Kameraausrüstung und schneidet neben Stoffen auch
Filmsequenzen. „Wenn ich nichts zu sagen habe, ist auch mal Pause. Es
muss auch einen Mehrwert für den Nutzer geben, beispielweise, dass die
was lernen. Ich bin auch nicht so der Storyteller.“ Buchhaltung
vorbereiten, jeden Morgen die Planung der Tagesproduktion mit den
Frauen: „Dieser Stoff, fünf da von, drei da von … Ein Design braucht
zwei Tage, wenn wir langsam arbeiten. Wir sind kein professionelles
Team. Wir haben keine Ahnung von Schnitten. Aber meine Freundin sagt,
‚Das ist richtig, wie du das machst.‘ Und wir haben alle Bock drauf.“
Spaß„Die
meisten Klamotten, die man kauft, sind von der Qualität her nicht gut.
Qualität ist für mich das A und O. Ein T-Shirt für vier Euro woanders –
was ist da für eine Vibration drin? Das hält doch keinen Sturm aus. Das
ist Wegwerfmode: Einmal getragen, einmal gewaschen. Dann geht es noch
als Putzlappen.“ Flohmarktkauf findet sie dagegen schon nachhaltiger.
„Da ist die Herstellung schon passiert.“ Zweite Hand-Kleidung musste
ihre Qualität schon beweisen. – Heute hat die Schneiderin Spaß an ihrer
Produktion. „Wenn wir Bock auf Peru haben, und eine Studentin aus
Ottersberg reist da gerade hin, sagen wir: ‚Bring uns mal einen Koffer
mit Borten mit.‘ … Selber nähen, selber färben: Du bist fertig und dann
fängt das nächste Stück an.“ Eine Mitarbeiterin ist Russin, die anderen
beiden sind Deutsche. „Wir erzählen traditionelle russische Witze. Sie
hat zehn Geschwister, die weiß, wo der Hase langläuft. Ich habe nur
drei.“ Alle vier haben Kinder. „Wir sind alle junge Muttis wie ich. Wir
sind alle unter 30 und haben Kinder. Man muss schon ein bisschen
organisiert sein. – Vormittags ist ja auch eigentlich Schule.“ Im
Rückblick meint sie: „Das war alles Zufall. Der liebe Gott hat es zu gut
mit mir gemeint. Ich wollte ja Kunsttherapie studieren. Bin mit Kind
herzgezogen und brauchte die Klamotten für die Kohle.“ Sie hat bei einer
Freundin von der Fachhochschule mitgekriegt, was dort passiert. „Ne,
das wollte ich nicht machen. Dann habe ich das Kleingewerbe angemeldet
und Klamotten gemacht. Ich glaube, so ein bisschen Blauäugigkeit gehört
dazu. Einfach machen! Hätte ich gewusst, was es heißt, hätte ich es
nicht gemacht.“ Ferens hat Spaß bei der Arbeit, kreiert gerne schöne
Dinge und sieht gerne schöne Frauen in schönen Kleidern. „Ich trage
immer die Prototypen. Sonst war ich eine Flohmarkttante. – Ich finde die
meisten von meinen Klamotten super.“
Torftipp: 1) Einfach machen. 2) www.fairwear.org