Bis
die Kletterwand in der Halle des TSV Ottersberg ihr heutiges Format
hatte, war viel Einsatz nötig. Eine Spendenaktion für das Material, wie
Griffe, Tritte, Gurte, Seile und Sicherungsgeräte. Grundlage für Griffe
und Tritte sind die 1 x 1-Meter-Kletterwandelemente dem Fels
nachempfunden. „Das Umschrauben der Griffe für professionelle Routen war
eine Riesenaktion“, erinnert sich Roman Schell (36) der zusammen mit
seinem Kumpel Denes Kailweit Cerqueira (40) als Übungsleiter die
Klettersparte des ‚TSV Ottersberg, Abteilung Turnen, Handball,
Badminton, Tischtennis e.V.‘ leitet. Die beiden wollten alles einmal
amtlich eingerichtet haben. „Wir haben alle Griffe abgeschraubt und zu
Hause im Geschirrspüler gewaschen. Zwei Profiroutenschrauber vom DAV
(Deutschen Alpenverein, Anm. pas) haben uns an einem Tag verschiedene
Touren und Schwierigkeitsgrade angeschraubt.“ - Den Hintergrund mit
Wolken und Bergpanorama hat sein Schwiegervater gemalt, der ehemalige
Kunstlehrer Gernot Schell, auch TSV-Mitglied. Klettern am Seil ist in
der Halle bis acht Meter Höhe möglich, Bouldern ohne Sicherung bis drei
Meter Höhe. Mit an die Wände gehen das ‚JUKU‘, Jugendkulturhaus
Ottersberg, Kinderkurse des TSV, als Fitnesstraining die Freiwillige
Feuerwehr aus Fischerhude und Langwedel …
EinstiegSchell
klettert erst seit 2017: „Ich war einen Nachmittag mit einem
Kindergeburtstag in der Boulderbase in Bremen: Vier Meter hohe Wände,
alles voll Matten … Da war ich angefixt. Und dann sagte ein Kumpel:
‚Hast du Bock zu klettern? Ich nehme dich mal mit.‘“ Im Wald am Baum hat
er ihm die Abseiltechnik gezeigt … „Danach sind wir in die Kletterhalle
an der Uni Bremen: 14 Meter hoch, ein nagelneuer Laden, richtig cool.
Und ich dachte: Das kann ich, das macht mir Spaß.“ Der Freund wollte
Schell als Kletterpartner, weil seiner Freundin die Lust ausging. „Am
Tag der offenen Tür haben sie in der TSV-Turnhalle Sicherungskurse
angeboten.“ Damals hat Schell noch in Bremen gewohnt. Die Töchter waren
aber montags schon immer bei den Großeltern und beim TSV-Turnen. „Als
wir hierher gezogen sind, waren wir gleich im Verein.“ Dann kam die
Frage: ‚So, wie sieht es aus, wollt ihr mal einen Kurs geben?‘ Seit 2018
machen Schell und Kollege einmal im Monat den Kinderkurs.
KletterartenSchell
geht ‚bouldern‘, also Klettern bis vier Meter in Absprunghöhe ohne
Sicherung. Und Sportklettern in der Halle am Seil: Sowohl ‚Toprope: das
Seil oben angebunden und einer sichert. „Wenn du fällst, hält dich der
zweite Mann. Wenn ich mit meiner Frau in der Halle klettere, hängt sie
sich einen 15-Kilo-Sandsack dran.“ Das Gewicht muss passen. „Sonst kommt
sie einem entgegen, wenn ich reinspringe. Da haben wir beide nichts
von.“ Oder Sportklettern als Klettern im Vorstieg (als erster) mit
Seilsicherung im Wandkarabiner. „Grob alle zwei Meter. Der andere gibt
von unten Seil raus oder holt es ein. Wenn einer fällt, hängt er in der
Sicherung.“
SchwierigkeitsgradeFür Schwierigkeitsgrade
wird in Deutschland hauptsächlich die UIAA-Skala (Union Internationale
des Associations d’Alpinisme) verwendet: Von 1 bis 11+. „Der 4er-Bereich
ist für erwachsene Anfänger. Ab 7+ hat ein Einsteiger keine Chance
mehr. Die Halle Ottersberg hat Touren von 4 bis 7 und eine 8- zum
Austoben. Ab 8 wird es ernst mit dem Training. Wir sind jetzt im
Achter-Bereich angekommen.“ Die Routen haben es in sich, dauern im
Training allerdings nicht lange. „Eine intensive Route dauert unter zehn
Minuten. Im Idealfall ziehst du es schnell durch. Das ist
kraftsparender. Danach bist du im Arsch.“ In den Hallen ist das
Routenniveau farblich markiert: Eine Rote ist eine 8, die gelbe eine 4 …
Zwischen Halle oder Felswand sind massive Unterschiede. „Wenn du im
Team an der Wand mit Klemmkeilen in Felsspalten arbeitest und im
Vorstieg kletterst, hast du richtig Kilos und Ausrüstung am Gürtel.“
ÜbungsleiterSchell
und Kollege bieten TSV-Kinderkurse an: 6 Termine, einmal im Monat zwei
Stunden Sonntagsvormittag. „Da nehmen wir auch unsere eigenen Kinder
mit.“ Heda (8) und Mari (6) Schell hängen also auch schon an den
Klettergriffen. Kursalter 6 – 12 Jahre, 10 – 12 Kinder, ein Frühjahrs-
und ein Herbstkurs: Zwei Kinder klettern, der Rest macht einen Parcours
in der Halle: Knoten üben, Balancieren auf dem Seil, Kletterspiele …
„Wir bauen eine Riesenbewegungslandschaft auf.“ – Norddeutschen
Kletterer sind auf Hallen angewiesen. „In der Kletterhalle Bremen hast
du auch eine Außenwand. Das ist cool bei Sonnenuntergang im Sommer.
Ansonsten muss man weit fahren, um zu klettern. Der nächste Felsen ist
der ‚Ith‘, ein Minigebirge hinter Hannover bei Hameln im Weserbergland.“
Am Fels„Ich
habe das Glück, dass mich meine Frau bei meinem Hobby unterstützt.“ Sie
fahren mit befreundeten Familien manchmal auch los zum Klettern mit
Anfahrt und Zustieg zu einer Felskletterwand. „Ein leichter Zustieg ist
ein Parkplatz direkt vor dem Felsen. Dann ist es aber auch
dementsprechend besucht mit teilweise bis zu 200 Leuten. Wenn es gut
überlaufen ist, hast du richtig Wartezeiten. Dann ist es nicht so
romantisch, wie man sich das vorgestellt hatte. Und wenn es ordentlich
regnet, kalt, nass und rutschig ist – kannst du wieder nach Hause
fahren.“ Dazu kommen Sperrungen wegen der Brutzeiten in
Naturschutzgebieten … „Übermut ist im Fels total ungünstig. Aber man
wird durchs Klettern mutiger und selbstsicherer. Und man muss an seine
Grenzen gehen und über sich hinauswachsen. Man kann beim Klettern auch
in seiner Komfortzone bleiben, aber dann gibt es keine Entwicklung.“
Entsprechend haben sich die Sommerurlaubsziele verändert: Gardasee,
Kroatien, Österreich … Hauptsache Fels in der Nähe. Die Woche in
Dänemark über Silvester mit Kletterfreund und Familien war trotzdem
sportlich: 600 Klimmzüge in sechs Tagen im Carport für jeden. „Das hat
sich so ergeben.“
Kletterer„‘Der
perfekte Kletterer ist groß, schlank und leicht.‘ Das stimmt nicht. -
Was stimmt: ab 100 Kilo wird es schwieriger, aber mit Technik kannst du
vieles ausgleichen. Es gibt in den Hallen kleinere Frauen, die ziehen
mich locker ab. Auf einem leichten Niveau kann eigentlich jeder
klettern.“ Höhenangst? „Kann man überwinden. Das ist eine Kopfsache.
‚Der Kopf ist der wichtigste Muskel beim Klettern‘, sagt man.“ Schell
ist Kunst- und Englischlehrer an der Oberschule Langwedel. Einmal war er
auf Jahrgangsfahrt mit einer sechsten Klasse im Freizeitpark: Für zwei
Minuten Durchhalten an der Klimmzugstange gab es ein Kuscheltier: „Neben
mir sind rechts und links die Jungs mit 16 bis 17 Jahren alle
abgeschmiert, und ich hing da ewig dran. Das hätte ich zwei Jahre vorher
nicht gekonnt. Wir hatten dann das Riesenkuschelschwein in der Klasse
stehen.“ Körperspannung ist die halbe Miete. Morgens vor der Schule geht
er eine Viertel- oder halbe Stunde nach draußen bei Wind und Wetter auf
die Matte im Schlamm: Liegestützen … oder an die Klimmzugstange. „Der
Vorteil zeigt sich beim Klettern. Und danach fühle ich mich richtig gut.
Ich komme immer mit einem Lächeln in die Schule.“ Den Spaß am Sport
will Schell auch verbreiten. Einen weiteres Angebot planen die beiden
Übungsleiter gerade als feste Einrichtung in der TSV-Halle: Einen
offenen Kletterabend für erfahrene Kletterer, einen Abend die Woche.
„Interessierte sollen sich melden.“