20 Jahre Torfkurier, der Film






‚Andreas‘ gute Stube‘

Über das Garagen-Gen und die Raucherlaubnis.

Text: Götz Paschen, Fotos: Mika Böhling, Götz Paschen, Angela Hennings

Wieso ist die Werkstatt nicht isoliert? „Meine Frau will nicht, dass ich hier ganz einziehe.“ Trotzdem ist bei Andreas Böhling (56) aus Fischerhude die Garage inzwischen mehr Treffpunkt als Arbeitsort. „Für zehn Mann sind immer Sitzmöglichkeiten da. Notfalls kommt die Biertischgarnitur dazu.“ Der Schlossermeister kultiviert ein ausgiebiges Werkstattleben mit Hausbar, Frikadellentreffen, Doppelkopfrunde und Kultofen Bullerjan. „Ich heize mit selbstgemachtem Holz. 90 % sind Abfallhölzer, wenn wir was gemacht haben.“ Oder sein Sohn Mika (22), gelernter Maurer, bringt Bauholz aus dem Wegwerfcontainer von der Baustelle mit. „Das Gartenwasser draußen benutze ich auch für die Kaffeemaschine. Die Sanitäreinrichtungen sind in der Waschküche. Da ist das Gartenklo. Und die Dusche ist in Planung.“ Kühlschrank & Co. fehlen. Ab und zu ist er dann doch auch im Haus. „Aber Ketchup steht hier schon, wenn Mika Frikadellen mitbringt.“

‚Die gute Stube‘
Andreas‘ gute Stube steht draußen auf einem großen Schild. ‚Wir treffen uns auf der Guten Stube.‘ „Dann weiß im Freundeskreis jeder Bescheid.“ 90 Quadratmeter Grundfläche, Schweißgerät, Esse, Bandsäge, Handgeräte, Werkzeug. Um Diebstahl macht er sich keine Sorgen. „Leer zu räumen, lohnt nicht. Die Maschinen sind zu alt.“ Daneben Bulli, Motorrad, diverse Fahrräder. Keine Hebebühne. „Autos schrauben geht auch aufgebockt.“ Lagerfläche für Kajak, Fahrradteile, alle Hobbys. Eine Kiste Bier, Weinbrand und Whisky und ne Kiste Cola, alles da. Meist gibt es aber Tee oder Kaffee. „Ich trinke hier nicht allein und jedes Mal, wenn Leute kommen. Es kann hier jeder was kriegen. Aber ich trinke nicht immer mit.“ Hauptsächlich geht es ihm auch um zünftige Gemütlichkeit, und geschafft wird eben doch auch was. „Meine Haupttätigkeit ist ‚Hausmeister Krause‘, wie in der Fernsehserie. Krause hatte einen kleinen Dackel. Ich habe meine Hündin Luna.“ Es mache Sinn, selbständig das Haus in Schuss zu halten, weil Handwerker zu teuer sind. „Ich mache es mit Liebe und einem anderen Qualitätsanspruch als Handwerker XY. Und für Kleinigkeiten Handwerker zu kriegen, ist schwierig und mit An- und Abfahrt auch zu teuer.“

Besuch
Böhling ist am Tag im Schnitt zwei bis drei Stunden in der Werkstatt. „Nach der Arbeit: 17 bis 19 Uhr oder länger. – Wenn ich Feierabend habe, kommt Angela zum Tee oder Kaffee runter. Wir gucken, was ansteht. Sie hat danach ihre Politiktermine. – Davor ist unsere Zeit.“ Die beiden haben jeder Zeit für sich, aber sie lieben auch die gemeinsame Zeit. „Jeder hat seinen Rückzug. Man kann sich besuchen. Im Winter bin ich mehr oben. Im Sommer sind wir mehr unten und im Garten.“ – „Wenn dann noch Bekannte kommen, fällt unsere Zeit weg. Aber wir sitzen gerne mit jemandem zusammen. Ich könnte hier einziehen. Ich brauche nicht viel.“ Oben auszuziehen, wäre eine Sporttasche , meint der Werkstattenthusiast. „Aber hier unten auszuziehen, das wäre ein Siebeneinhalbtonner.“ Möbel und Deko sind ihm nicht so wichtig. Und nach der Arbeit ist Böhling gern zu Hause. „Zu 90 % bin ich hier. Natürlich gehe ich auch mal woanders hin. Aber wenn ich nicht da bin, kann mich ja keiner besuchen.“ Es kommen Nachbarn, Onkel, Cousin, Freunde, Bekannte, Sohn Mika und dessen Kumpel und Kollegen. „Angela hat Besuch draußen oder oben, selten hier. Die sitzt bei uns aber auch gerne dabei. – Die Jugendlichen haben in der guten Stube einen Ort, an dem am Wochenende vorgeglüht wird.“ Man kann da sein, und man kann schnacken. „Es ist zwanglos, und es wird nicht gewertet.“

Vater und Sohn
Jeden Donnerstag hatten Böhling und Sohn von Oktober bis Ende Januar in der Werkstatt ihren Vater-Sohn-Tag. „Wir haben Pizza bestellt, geschmiedet, und er hat schweißen gelernt. Mal gab es auch einen Kinoabend, und wir haben nichts gemacht.“ Mikas Kumpel Piet wollte auch mal schmieden. Jeder darf sich hier ausprobieren. Was der Schlossermeister mit Ausbilder-eignungsprüfung kann, gibt er gerne weiter. Und auch den Stil. „Mika hat ein bisschen diese Garagenkultur übernommen. Das vererbt sich.“ Wohlfühlzone für Reelle. Wenn der Sohn und seine Freunde von der Arbeit kommen, haben sie noch die Arbeitsklamotten an. Das stört hier keinen, auch nicht die Sitzpolster. „Die können mit ihren dreckigen Klamotten sitzen und noch ne Stunde schnacken. Sie haben alle eine Freundin, aber leben nicht in festen Partnerschaften.“ Da ist ein Abstecher in die gute Stube auf jeden Fall noch drin. „In dieser Werkstatt passiert zwischenmenschlich viel. Hier ist immer ein offenes Ohr, und es gibt immer einen Kaffee. Wenn Walter, Hans oder Manfred Licht in der Werkstatt sehen, dann halten die noch mal eben an. Ich habe immer gesagt, ‚das Haus ist offen. Hier sollen Leute Luft holen und sich auskotzen können.‘“ Zuhören kann er, der Schlossermeister. Er arbeitet heute im Berufsbildungswerk Bremen gGmbH als Ausbilder für Jugendliche mit Beeinträchtigung im Metallbereich. Da muss man das drauf haben. Früher war er als Schlosser auf Montage deutschlandweit im Hallenbau unterwegs, hat Vorstellbalkone montiert, war Werkstattleiter …

Wer kommt nicht
„Spießer und Korinthenkacker kommen nicht. Die kommen einmal und nicht wieder. Denen gefällt das nicht. Die kriegen hier auch Wind von vorne. Hier ist Klartextzone. Wir sind ein besonderer Schlag Leute, mit dem kommst du klar, oder du hast Pech gehabt.“ Böhling und Sohn Mika sind Handwerker durch und durch. Er lebe noch das alte Handwerkertum: Werkzeug ausleihen ja, solange es zurückkommt. „Sonst kriegst du es nur einmal. Und wenn du es nicht anständig zurück bringst, kriegst du das zu hören.“ Es wird nicht in Geld abgerechnet. Wer was braucht, kann was haben. Irgendwann kriege man das dann in anderer Form zurück. Nachbarschaftshilfe. „Es ist einfach. Wenn ich mal was zu schleppen habe, dann fassen die anderen mit an.“ Die Jungs haben da auch Bock drauf. „Die haben hier kürzlich mal eben zwölf Raummeter Stämme zerlegt auf dem Hof. Und der Kumpel hatte auch noch zwölf Raummeter Holz.“ Einen Schneidespaltautomat geliehen und klein gemacht. Und abends war fertig und Party. Er hält es für wichtig, dass jungen Kerle zurückschauen können auf den Tag und sagen: ‚Ich habe was geschafft, und ich habe was bewegt.‘ Und zwar ohne Zwang.

Lernfeld
„Wenn die hier Fehler oder was kaputt machen, das muss sein. Dann gucken wir, wie kriegen wir das wieder hin.“ Als Mika klein war, durfte er immer in die Werkstatt, aber nicht an die Maschinen. Maurer hat er gelernt, aber da bleiben handwerklich Wissenslücken. „Ich habe ihn an die nicht-berufsrelevanten Maschinen rangeführt: Kettensäge, Bandsäge, Kappsäge, Schutzgasschweißgerät, Esse …“ Die Freunde dürfen auch ran. „Solange keine Verletzungen passieren, ist mir das alles egal.“ Sein Konzept geht auf, es ist noch nie etwas passiert. „Natürlich hat sich jemand mal einen Finger geklemmt.“ – „Ich mag das mit Mika. Viele Väter nehmen sich nicht die Zeit. Das ist für die nicht wichtig, oder sie sind zu gestresst.“ Böhling probiert selber auch öfter Sachen aus. Sie hatten einen schrottreifen alten Passat da. „Den haben wir ‚repariert‘. Und dann festgestellt, das geht nicht. Wir hatten aber schon den halben Motor auseinander. Wir haben einen Schrotthändler angerufen, die Motorteile in den Kofferraum geschmissen und gesagt: ‚Hol das Ding ab.‘ Aber wir hatten zwei Tage viel Spaß.“ Ich höre: „Der war vorher schon tot. Wir hätten nur gewinnen können.“ Man lernt eben auch seine Grenzen kennen. „Das können wir nicht. Aber du lernst immer was dabei.“ Von seinem T4-Bus hatte Böhling hier schon die Kupplung komplett raus. Seine Frau meinte: ‚Die kriegt ihr nie wieder zusammen.‘ Aber es hat geklappt, er fährt wieder.

Sozialraum
Die Familie hat letztes Jahr in der ‚guten Stube‘ Weihnachten gefeiert. Es ist einfach mehr Platz: drei Kinder, deren Partner, Oma … „Es kann ja jeder vorbeikommen. Wir waren 12 bis 13 Leute, und es gab Glühwein.“ Hier wird auch Doppelkopf gespielt. Sechs Leute gehören zu der Doppelkopfrunde. Und jeden sechsten Dienstag von 19 bis 23/24 Uhr dann bei Böhling. Eine reine Männerrunde. „Wir haben keine Frauen dabei. Da könnten wir keine schlechten Witze mehr machen. Es ist auch eine Stressbewältigungsrunde. Wir gehen nachher alle wieder zufrieden nach Hause.“ Die Gruppe aus Achim, Oyten und Fischerhude ist 25 Jahre alt. Böhling ist seit 6 Jahren dabei. „In der guten Stube ist Raucherlaubnis. Ich bin Zigarettenraucher, und die anderen rauchen Zigarre. Du kommst nach Hause und stinkst nach Kneipe und Qualm wie früher. Da kannst du die Klamotten in die Waschmaschine stecken.“

Partyzone
Böhling und Frau leben in einer Patchworkfamilie. Vor einigen Jahren war große Hochzeit. Und zwar wo? „Unsere Hochzeit und unseren 100sten haben wir hier gefeiert.“ Als Großveranstaltung mit 100 Leuten in und um die ‚gute Stube‘. Silvester auch, da hilft der Freundeskreis bei den Vorbereitungen. Bus raus, Fahrräder, Mülltonnen auch. Das wird alles ein bisschen zusammengeschoben. Das passt schon. Der Tanzboden steht als Trennwand zwischen Bulli und Fahrrädern. „Der wird hier ausgelegt. Getränke her und Party. Das dauert einen halben bis einen ganzen Tag. Ich freue mich über Partys. Dann kann ich mal aufräumen und den Kram in den Ecken ausmisten.“

Arbeiten
Der Tanzbodenbau gehörte auch zu den letzten größeren Bauaktionen. Oder letztens den Wintergarten abreißen und neu aufbauen. Da war hier die Lagerfläche. Der T4 ist immer eine Aktion in der Woche vor Ostern. Kürzlich haben sie eine große Bandsäge instandgesetzt. „Ich habe eine für Holz und Mika hat eine Bandsäge für Stein.“ Oder sie haben Omas Schränke restauriert, als die vor einiger Zeit in das Haus eingezogen ist. Zum Tagesgeschäft gehören Vogelhäuser für den Garten, die Kettensäge warten, das Motorrad TÜV-fertig machen und der Hundefahrradhänger als Einachser. „Das ist auf Feldwegen angenehmer“. „Joyce ist im Sommer mit ihren drei Freundinnen aus Oldenburg mit den Fahrrädern zum Übernachten angeradelt.“ Da hat Böhling sich mal die Fahrräder vorgenommen. Ein netter Kerl ist er schon. Und die Mädels: ‚Die Fahrräder fahren ja wie neu.‘ „Das mache ich gerne. Ich habe da Bock drauf. Das ist doch schön, wenn die sich freuen.“

Aufträge
„Ich erledige keine Aufträge mehr. Da fehlt mir die Zeit für.“ Es fragen Nachbarn nach Schrauben oder Geräten.
„Mir selber fehlt nichts, ich muss nicht zu anderen fragen gehen.“ Hier liegt und hängt in einer organischen Ordnung auch schon so einiges rum. „Mika und ich zusammen, wir könnten aus dem Stegreif ein Haus bauen. Wir haben alles an Werkzeug. – Wenn du knapp bei Kasse bist, musst du alles haben.“ Die Zeiten gab es auch mal früher. Böhling ist ein großzügiger Typ, das wissen die im Bekannten- und Freundeskreis, die mal was brauchen. „Einfach fragen, frei raus. Und am besten ohne Geschnörkel. Haste das? Kannste das? Es gibt keine blöden Fragen. Auf dem Dorf hilft man sich gegenseitig.“

Lockere Atmosphäre
Ankommen, Kaffee trinken, den Tag Revue passieren lassen alleine, gucken, was noch anliegt. Abwägen, wo habe ich Lust zu. „Projekte gibt es genug. Es geht nicht immer nach der Priorität, sondern auch nach Lust. Das Wichtigste ist: Es muss Spaß machen und dir eine Zufriedenheit geben. Dass du keinen Zwang hast. Den versuche ich zu vermeiden.“ Und es ist immer anders. Es läuft nicht nach Plan. „Bis auf Tee und Kaffee und dass andere gemütlich sitzen können.“ Eine rauchen, im Winter mit Freunden Glühwein auf dem Campingkocher. Das Projekt Bahnhofsuhr könnte nach vier Jahren auch mal fertig. „Wenn ich nichts zu tun habe, mache ich Musik an und bin beim Bogenschießen.“ Bei Böhling hat der Alarm nachgelassen. 80 % der Werkstattzeit sind Entspannung und 20 % Handwerk. „Handwerklich mache ich nichts mehr auf Druck. Es kann auch mal was liegen bleiben. Bei dem Haus bist du sonst nur noch im Muss. Wir geben inzwischen mehr an Handwerker ab. Ich mache das, wo ich noch Lust zu habe. Es ist einfach nicht zu schaffen, neben der Arbeit. 2.500 Quadratmeter und vier Parteien im Haus. Da ist sonst immer was zu tun.“

Männerort
„Ich will nicht nur Männer hier haben. Aber es ist ja nicht unbedingt sauber. Da fühlen sich Frauen nicht so wohl.“ Und kalt ist es auch, trotz Ofens. Wenn man nicht in Gang ist, könnte man frieren. Kennst du eine Frau, die eine ‚Garage‘ hat? „Ne, aber das wird kommen. Ich bilde bei uns mehr und mehr Frauen aus. Ihr Anteil in den handwerklichen Berufen Tischler, Maler, Schlosser und Galabau steigt stark. – Die haben dann später auch ihre Garagen.“ Und auch kleine Kinder sind in Garagen gern gesehen. „Die finden das gut, weil sie hier mal dürfen. Hier gibt es was anderes, womit sie spielen und sich ausprobieren können. Ich motiviere die auch, ein Stück Eisen in den Ofen zu halten und auf Holz ein Muster zu brennen.“ Als seine klein waren, haben sie in der Werkstatt Boote gebaut. Darf seine Frau sich in die Ordnung einmischen? „Hier wird nicht aufgeräumt. Ich brauche keine Beschriftung, ich weiß, wo was drin ist. Aber Angela wollte das. Die wartet nicht, bis ich Feierabend habe, wenn sie was zu tun hat. Die hat hier dann mal alles beschriftet. – Es ist ja unser Reich.“ Die Ordnung im Hinterkopf eines anderen ist nicht jedermanns Sache. Und innerfamiliärer Kommunismus will auch sauber verhandelt sein.

Empfehlung
Böhling meint, jeder solle sich einen Ort schaffen, an dem er sich wohl fühlt. „Wo man so sein darf, wie man ist. Wo man sich nicht verstellen und Schauspieler sein muss. Es ist auch für mich ein Rückzugsbereich: Luft holen, Seele baumeln lassen. Kein Muss. – Das war hier mal ein Schuppen. Was mache ich draus? Was bringe ich hier für eine Atmosphäre rein? Setze ich mich da rein und bin nur mal da? Gönn ich mir das? Das braucht jeder. – Der eine geht in die Garage. Einer hat sein Boot. Einer setzt sich aufs Motorrad … Hauptsache es ist seins.“

Torftipp: Auto in den Regen stellen und Garagenkultur entwickeln.