Pflicht und Lust

Schafft Reife Wandel?

Von Götz Paschen

Ist der Wandel zum Erwachsenwerden bestimmt von einer veränderten Bewusstseinshaltung: Von der Pflicht zur Lust in der Jugend. Hin zur Lust an der Pflicht im Erwachsenenalter? Verschiebt sich in erster Linie die Verantwortung vom ich zum du? Und ist es das reife Bewusstsein oder gar eine Glaubensfrage: Die Sicherheit, dass der Verlust umfangreicher Selbstfürsorge sicherlich ersetzt wird von liebender Fremdfürsorge durch Mitmenschen oder Gott? Ist das späte Heranreifen aktueller Generationen schlussendlich vielleicht eine kollektive Glaubenskrise? Oder ist alles eher dem Betrachtungsabstand der Älteren geschuldet, denen das Verstehen und die Rückbesinnung auf die eigene Jugend mit zunehmendem Alter schlechter gelingen?

Angewidert
Ist es das infantile Aggressionsverhalten, was uns an so manchem Staatslenker anwidert? Und sind es die Besonnenheit und Selbstkontrolle, die eine Angela Merkel - bei aller Kritik - als Landeschefin souverän machen? Stehen wir nicht staunend vor dem Riesenschwachsinn einzelner? Während es sogar vernünftig ist, sich als Erwachsener eine Unsinnszone zu gönnen. Einen Bereich, in dem wir mal über die Stränge schlagen dürfen? Ventile als Systemschutz gegen Überlastung. Das kennt jeder Mechaniker. Sind wir Erwachsenen neben dem Pflichtbewusstsein aufgefordert, Ventilbewusstsein zu entwickeln? Damit das System nicht kollabiert, was auch keinem hilft.

Neid
Oder ist es gar Neid, mit dem wir abwehrend darauf reagieren, wenn andere ungeniert aus dem Vollen schöpfen wie gierige Hosenscheißer. Unkontrolliertes Habenwollen, das wir uns verwehren: Billigflüge, Textilberge, unkontrollierter Spritverzehr am Tresen oder im Auto? Fehlt uns eine ausgeprägte und ausdifferenzierte Lust- und Genusskultur: Im Immateriellen? Im Sozialen? In der Kulinarik? In der Erotik? Im künstlerischen oder sportlichen Exzess? Und nicht nur zuschauend auf Stellvertreter, sondern kollektiv bei allen.

Machbarkeit
Was verträgt die Welt: sozial und ökologisch? Vielleicht auch zuerst die umgekehrte Frage: Verträgt die Welt verkniffene Lustferne? Mannigfach angezogene Lebensbremsen? Hemmungen, sich selbst gut zu tun? Ist es gerade die Miesepetrigkeit der Mehrheit, die uns schadet? Mit der wir uns gegenseitig in Schach halten? Wird nicht jeder, der aus der stillschweigenden Beschränkungsverabredung droht auszubrechen, von der Gruppe der Lustfernen zurückgerufen? Und singt der Chor nicht lauthals: ‚Gönn dir nichts!‘? (Nicht Krempel, sondern Ausgelassenheit!) Während alle stillschweigend danach gieren? Nach dem Motto: Wenn ich keine Schokoladentorte kriege, soll der aber auch keine haben. - Ist Welt­rettung in der kultivierten Form eine Frage der Wandelbarkeit? Dann ist Spontaneitätsmangel eine ihrer Hauptbremsen. Bleibt also nur die Frage: Wie machen wir die Satten wirklich satt und glücklich? Sind es die Ersatzbefriedigungen, die den Planeten ruinieren? Rohstoffgier schafft andernorts kranke Märkte. Mit allen schlimmen sozialen Folgen bis hin zum Demokratieverlust und Bürgerkrieg im Kongo?

Auswege
Was können wir von den Jungen lernen, die wissen, wie fröhliches Sich-was-gönnen geht? Wobei die Zusatzfrage ist: Kriegen wir in dieser Lustorientierung auch den Übergang vom Materiellen zum Immateriellen hin? ‚Stopf dich voll‘ kann unser Glaubenssatz heute nicht mehr heißen. Die Nachkriegsjahre sind vorbei. ‚Genieß es!‘, sollte er heißen. Wobei der Frosch immer da begraben liegt, wo ‚es‘ nicht sauber definiert ist. Ist ‚es‘ noch mehr Kram, Fernflug … oder ist ‚es‘ ein Klavier mit seinen jahrzehntewährenden Qual- und Erfüllungsmöglichkeiten? Sind ‚es‘ ein paar Laufschuhe und die sportlichen Exzesse dazu? Nicht der kerosinschwangere New York-Marathon. Knallt es auch, wenn es ‚klein‘ ist? Knallt es, wenn es sich nach nichts anhört, aber nach viel anfühlt? Gehört neben konstruktiv immer auch destruktiv? Und völlig paradox: Was ließe sich denn mal konstruktiv zerstören?

Torftipp: Stellen Sie Selbstverständlichkeiten in Frage. Kost nichts. Schockt aber.