Digitale Emotionen

Gefühle online dank Kahlschlag in der realen Welt.

Text: Götz Paschen

Hauptsache Amazon bietet demnächst auch mitmenschliche Gespräche an, wenn die unkritischen Konsumenten flächendeckend dem stationären Handel den Garaus gemacht haben. Ein Schwätzchen und Trost zum Nulltarif zwischen Tür und Angel im Laden, wird es das dann noch geben? Mit den Inhabern, mit anderen Kunden? Disruptiv ist eins der gefeierten Worte der Samwerjungs und Chefs von Zalando. Neues hochziehen und altes erledigen. Immer fix zerstören, dann kann man es wegfegen. Und wer nicht resilient (Modewort) genug ist, den Kahlschlag zu verkraften, wird gleich mit weggefegt. Disruptiv eben!

Angeschlichen
Corona begünstigt diese Entwicklung. Oder besser: die Regierungsentscheidungen zu Corona. Der Lockdown macht’s möglich. Lockdown heißt wörtlich übersetzt ‚Ausgangssperre‘ und ist eigentlich die völlig falsche Vokabel. Aber sie passt gut zu den teilweise völlig falschen Maßnahmen. Wenn Lockdown ‚light‘ heißt, dass viele ‚nicht-systemrelevante‘ Geschäfte schließen müssen. Dann können Sie das wörtlich nehmen. Die Geschäfte werden nach dieser Phase schließen müssen. Förderlücken, Antragsinkompetenz oder einfach nur ein fehlender Steuerberater sind hier Todesurteile für lang geführte Läden im stationären Handel. Die Kaptialdecken sind teilweise hauchdünn. Da retten sich gerade noch einmal die Inhaber, wenn sie Glück haben, aber nicht die Läden. Und bevor ein Käufer sich über Monate ein Bedürfnis verkneift, bestellt er im Internet. – Da kann ja dann auch keiner was dafür: Die Regierung hat Corona nicht erfunden. Und wo gehobelt wird fallen Späne und Existenzen. Die Käufer würden ja gerne in die Läden gehen, aber die sind zu. Und dass immer mehr Päckchenautos durch die Ortschaften gondeln, ist Teil des Straßenbildes im 21. Jahrhundert.

Emotionen
Zurück zum Ausgangspunkt: Sie treffen ohnehin keinen mehr. Früher konnte man sich noch beim Einkaufen begegnen. Flanieren, schlendern und Genusskauf sind keine supermarktfähigen Tempi. Da werden Waren erfasst und im Affenzahn Kunden abgearbeitet. Läden mit Zeit wurden regierungsseitig geschlossen. Für immer? Wir werden sehen, ob die Hilfen, die Kurzarbeit und die übrigen Instrumente ausreichen, um sie am Leben zu erhalten. Der Onlinehandel verzeichnet solide Umsatzzuwächse. Nicht nur beim Konsum. Wer jemanden kennenlernen will, der kann ja tindern. Ob Sie dann gleich zum Sex antreten dürfen oder nur zum Kennenlernen, wer will sich denn mit solchen kleinkarierten Details abgeben? Die Zwischentöne haben in einer binären Welt nichts verloren. 0 und 1 ist die beherrschende Codierung. Wer nicht vögeln will, soll zu Hause bleiben. Nur flirten ohne Koitus, das war früher. Ein nettes Gespräch ohne Absichten? Alles muss einer Ziel- und Zweckorientierung dienen. Amazon hat diese Zwischentöne nicht auf Lager. Aber vielleicht finden Sie ein Emotions-Coaching über Zoom gegen Bezahlung.

Vereinsamung
Corona hat die ‚Digitalisierung‘ beschleunigt. Was damit gemeint ist, werden Sie erleben, wenn die Hilferufe ihrer kontaktarmen Seele ungehört verhallen. Heimbüro, Onlinehandel, Zoommeeting, Netflix … bald haben wir es geschafft. Dank Bequemlichkeit ist dann die Vereinzelung vollständig gelungen: Arbeit, Einkauf, Treffen, Unterhaltung … Sie werden alles am Bildschirm erledigen. Ferngesteuert über vier Technikgiganten, die diktieren, wo es lang geht. Der innere Schweinehund hat alle übrigen Motivationen erledigt. Reizarmes Leben in geschlossenen Räumen: Wo er im Wohnzimmer Fahrrad fährt und sie neben ihm auf dem Laufband läuft, bei regenfreiem Wetter, Landschaft und Laufstrecke draußen. – Kein Witz! Das habe ich letztes Wochenende mit eigenen Augen gesehen. – Schöne neue Welt. Wir haben überlebt, aber zu welchem Preis?

Torftipp: 1) Konsumverzicht, bis die Läden wieder öffnen. 2) MitMenschen reden. Das geht auch mit Maske.