Die Zwischenzeiten fehlen

Und der Schlendrian geht verloren.

Text: Götz Paschen

Was gibt es Größeres für jemanden, der voll eingespannt ist, als ein Zeitloch. Ein Termin fällt aus. Und Sie können nichts anderes machen, als spontan die Zeit zu vertrödeln. Vorausgesetzt Sie sind so souverän, Ihr Handy in der Tasche zu lassen. Heutzutage wird jede Muße mit Unterhaltungselektronik totgeschlagen, beziehungsweise verunreinigt. Wer Charakter genug hat oder gar kein Handy, hat Chancen auf Genuss: Kinder und Lebenskünstler.

Zeitlöcher
Ist das großartig, wenn etwas ausfällt! Sich zu ärgern, nutzt nichts. Also genießen: Zeitlöcher sich füllen lassen. Reflexiv. Nicht aktiv. Diese Löcher füllen sich selbst. Sie als Mensch sind nicht Akteur sondern Objekt. Und das Geschehen läuft in das Zeitloch hinein, ohne dass Sie etwas tun müssen. Gucken Sie dem Leben einfach zu. Nicht im Zug sitzen und zielstrebig sein. Nein, auf dem Feld stehen und dem Zug hinterherschauen. Dann den Himmel, die Vogelfluglinien und das Biegen und Rauschen der Bäume aufnehmen. Auftauchen aus einer Wirklichkeit, die vielleicht nur eine sekundäre und fragwürdige ist. Sie heben den Blick über den Rand des Bildschirms und gucken aus dem Fenster, was in der Welt los ist: Luft, Temperatur, Jahreszeiten, Gegenüber!

Läuft
Eine der souveränsten Antworten auf. ‚Alles klar?‘ Ist zurzeit: ‚Läuft.‘ Aber: Hält nie an, nie inne. Läuft. Als müsste alles immer laufen. ‚Steht‘ sagt keiner. Und der Fortschritt der Zeit hat trotz Atomuhr verschiedene Tempi. Physikalisch ist es großer Blödsinn zu meinen, die Zeit rennt oder steht. Im subjektiven Empfinden – nur das entscheidet über Ihre seelische Realität – spielt es aber eine große Rolle. Wie wäre es einmal, wenn die Zeit verrinnt. Sie lassen sie das einfach tun. Sie definieren das Rennen um in ein Verrinnen und beobachten den Wandel in sich. Was gab es früher Größeres, als statt der Schulaufgaben, den Wassertropfen am Fenster zuzuschauen. Wie einer von oben kommt und die anderen einfängt und mitnimmt. Ein nie enden wollendes Spiel von Zufall und Schwerkraft.

Was geht
Was geht sind Termine: Die Beruflichen und die Privaten. Das geht. Was nicht geht, ist das Dazwischen. Wo etwas entsteht, weil nichts ist. Wo wir plötzlich etwas in der Hand haben, womit wir nicht gerechnet hätten. Weil wir zufällig einmal die Hände frei hatten und nicht ‚alle Hände voll (zu tun)‘. Situationen in denen die Konjunktive Wirklichkeit werden. In denen aus dem ‚könntest du mal‘ eine ‚mach ich jetzt‘-Realität wird. Vielleicht versehentlich ein Buch greifen und dran hängen bleiben. Irgendetwas im Haus hübsch machen, und nicht nur funktional. Sich hinsetzen und einen Brief schreiben. So einen echten mit Papier und Füller, Briefmarke und Umschlag. Dann kann man auch Sand reinstreuen, Herbstblätter, Schokoladenpapier aufkleben … Sowas eben. Zeit, in der Kreativität oder Erfindergeist wach werden.

Kinder
Gucken Sie sich einmal Kinder an, wie übel die drauf sind, wenn sie am Tag zu wenig Zeit für versunkenes Spiel haben. Und gucken Sie sich Erwachsene an, denen das genau so geht – wie übel die drauf sind. Was jeder schafft, der souverän planen kann: Neben einen organisierten Arbeitstag auch organisierte Freizeit zu legen. Gönntermine am Abend nach den Verdienterminen. Was sich aber schlecht planen lässt, sind die spontanen kreativen Löcher. In denen es nicht vorwärts geht, weil es im Leben manchmal auch nicht vorwärts gehen muss. Wenn Sie nicht in der wilden Lebensmitte stehen, werden Sie denken: Was schreibt der für ein Zeug? Oder: Das ist schon lange her? Was in der Lebensmitte fehlt, ist Zeit für Gedöns. Gedöns ist was Großartiges. Und Gedöns zu erledigen ist meist hochgradig unwichtig, aber seelisch absolut befriedigend.

Torftipp: Schlendern, jetzt erst recht.