Rote Ampeln

Souverän erträglichen Vorgaben folgen.

Text: Götz Paschen

Rote Ampeln nachts sind kein Thema, das uns Dörfler berührt. Die werden hier ausgeschaltet oder blinken gelb. Selber aufzupassen, ist hier die Aufforderung an den mündigen Bürger. Klappt auch. Aber kaum komme ich in eine Stadt, lassen die die Ampeln im Rhythmus. Da steht man nachts um drei im städtischen Nichts und wartet. Warum nicht fahren? Anhalten und losfahren kostet extra Sprit und Umwelt. Einfach rechts und links gucken und durchfahren. Was spricht dagegen? Oder auf der Landstraße im Waldstück Tempo 70 – warum das? Die meisten Rehe sieht man doch rechtzeitig …

Gehorsam
Ich stehe also folgsam brav mit laufendem Motor nachts vor einer doofen Ampel. Und das durchaus öfter. Und frage mich nicht: ‚Warum nicht durchfahren?‘ Ob fotografiert wird oder nicht, erkennt man doch an den Kästen schräg gegenüber. Ich bleibe stehen und verhalte mich – wie sonst auch meistens – vorschriftsmäßig. Wird sich schon ein vernünftiger Planer was bei gedacht haben. Dann muss ich nicht denken! Oder besser: Da kann ich über wichtigeres nachdenken! Ich habe keine Lust, mich den halben Tag damit zu beschäftigen, wie und ob ich jetzt den nächsten kleinen Regelverstoß organisiere. Mir ist es ehrlich gesagt zu dämlich, meinen Kopf damit zu blockieren. Und ich könnte noch weitere Fragen aufzählen als: Warum muss ich nachts an roten Ampeln halten?

Fragen
Warum hinterziehe ich nicht ordentlich Steuern und stecke mir das Geld in die Tasche? Oder warum zahle ich brav für alle Mitarbeiter Sozialabgaben? Warum nicht einfach jemanden bar bezahlen ohne Abrechnung? Warum zahle ich privat so viel Krankenkasse für einmal jährlich zum Zahnarzt? Warum zahle ich für all die anderen mit? (Am Rande die Antwort: Weil es ja einige tun müssen, damit der Staat und das Sozialsystem funktionieren. Wer breite Schultern hat, sollte dankbar sein und andere mittragen.) Warum soll ich für den Regenwald, Uganda, Reporter ohne Grenzen … spenden? Und warum mache ich nicht endlich auch mal nur einen normalen Beruf mit 25 Stunden weniger Arbeit in der Woche und mehr Sport, Familie und Musik am Tag?

Demokratie
Ich ertappe mich dabei, dass ich immer wieder gedanklich und verbal völlig ‚staatstragend‘ unterwegs bin. Also Schnutenpulli und rote Ampeln stören mich nicht die Bohne. Wenn ich mal versehentlich irgendwo ohne Mundnasenschutz reinrenne, hole ich das nach. Wenn ich nachts an einer Baustellenampel mit Halbstundenschaltung bei Rot stehe, fange ich auch an zu zweifeln. Aber doch nicht in der Regel. Das sind doch Erdnüsse. –

Corona
Wir sind hier bisher als Bürger gut gefahren bei Corona. Ganz anders sieht es bei den Gewerbetreibenden aus, oder bei Kultur und Kunst. Auch im sozialen Miteinander. Da sehe ich Schwierigkeiten und Schäden, die nachhaltig sind. Aber meine Freiheit stirbt nicht, nur weil ich in Geschäften Schnutenpullis tragen muss. Deshalb gehe ich nicht mit Nazis gemeinsam demonstrieren. Und auch sonst nicht.

Diskussionsgegenstände
Wir können uns über Rüstungssteuerboykott, die Zerstörung der Solar- und Windbranche durch falsche Energiegesetzgebung, den Kohleaussstieg, Datenmissbrauch durch Staat und Privatunternehmen, europäische Flüchtlingspolitik und die Zahlungen an die Türkei, Importgenehmigungen für kritische Rohstoffe und ‚Heckler & Koch‘ unterhalten. Da brennt es seit Jahren, aber doch nicht über Schnutenpullis. Vielleicht haben meine Kinder oder Enkel eines Tages die Vorgabe, eine Schuluniform zu tragen, um die soziale Differenzierung über Textilien aufzuheben. Warum nicht? Bei der Kleiderordnung bin ich tolerant. Ob das jetzt im Gesicht oder sonst wo ist, ist mir ehrlich gesagt Latte.

Torftipp: Widerstand gerne, aber 1.) doch nur, wenn es lohnt und 2.) mit Sinn und Verstand.