Fischleibhaufen

Erwachen an der See.

Von Götz Paschen

Eduard liegt zwischen glitschigen toten Fischleibern und quält sich aus dem Haufen an die frische Luft. Würde man sagen, wenn es nicht so stänke, stünke oder stinkte. Stänken täte – rätätä! Klettert über die rutschigen Kollegen, stolpert, stürzt. Fällt weich in quallige Körper. Wächsern ist die Haut der weißen Unterbäuche. Große Apparate, keine Dosenformate. Will vorwärts robben. Aber die Flossen bieten keinen Griff. Haltlos witscht und glitscht Eduard über Fische. Sein Gesicht geschuppt, glänzt silbrig. Mit Schlieren auf den Wangenknochen. Und regenbogenschillerndem Lidschatten. Wachsam blickt er auf die kreischende Schar über sich. Das Drama der Wachsamen – Milchner hin oder her – ist die Schlafarmut.

E-Dur
Alle liegen sie dort, tot. Keiner japst. Keiner chinest. Und keiner indoniest. Apropos Niesen. Eduard greift zu seinem Stofftaschentuch, wickelt es um eine Hand als Trockenhandschuh. Hat zweimal Griff. Doch dann ist auch das zu schmierig und nutzlos. Er schnäuzt sich. Und bei näherer Betrachtung ist unklar: Was ist jetzt vom Fisch und was von der Nase. Jetzt ist die Nase von innen frei, aber von außen schmierschuppig. So sinniert er bewegungslos vor sich hin. Dreht sich auf den Rücken und starrt in die Luft. Unter die flatternden Flügel. Steinway: Kreischkonzert E-Dur - Cis, Gis, Dis, Fisch. Seevögel sind immer Dur, nie Moll. Zu laut, zu hart – als Kontrapunkt zur melancholisch rollenden See.

Würgen
Liegen, den Kopf weich gebettet. Über ihm die tanzende Schar. Wie große beflügelte Mücken im scharfen Gegenwind. Beobachten seine Bettstatt fressgierig. Er in der Betrachtung wilden Tosens versunken. Als der erste Albatros niederstürzt aus dem Schwarm auf die Fische herab, setzt Eduard sich zur Wehr. Kriegt ihn am Leib zu packen. Und drückt ihn mit aller Kraft in den Fischberg hinein. Ein Flügel schlägt ihm minutenlang noch ins Gesicht. Bis die Kraft aus ihm weicht und der Vogel Fisch wird. Er stickt an mäßig frischer Luft. Wieder Beschaulichkeit. Und der Schwarm in gewachsener Distanz über ihm. Die Flügelfedern im Wind schmeicheln seiner Wange. Kommt eine Bö, erzeugt sie im Gefieder ein drängendes Knattern. Dann wieder Ruhe.

Entdeckung
Drei Bäuche weiter reckt sich eine Hand aus dem Leichenhaufen. Streckt sich gen Himmel, als wollte sie oben im Nichts Halt suchen. Wie kommt uns das bekannt vor. Eduard eilt ihr zur Hilfe. Und sie gehört einer Frau mit schlanken Fingern und festem Griff. Er zerrt und reißt, erhebt sich, zieht. Versinkt mit dem linken Bein bis zur Hüfte im Haufen. Es gleicht einer Geburt. Klebverschmiert der Kopf. In die Haare geflochten Perlenschnüre aus Schuppen, ungeordnet. Barbusig und schnaufend. Als er sie bis zur Hüpfte heraus hat, folgt der untere Teil der Dame als Fisch. Eine Meerjungfrau. Sie schlägt mit dem Schwanz und zieht ihn schwanzschlagend über die Leiber hinweg mit sich zum Kai. Sie kommen gut voran. Wohin auch immer, aber es geht vorwärts.

Unter Wasser
Und als er unter sich das schäumende Wasser an die Spundbohlen schlagen sieht, fragt Eduard sich, ob ihr Weg ein gemeinsamer sein sollte. Blau und Grün ist das Wasser. Der Griff der Meerjungfrau fest. Die Gischt durchbricht. Luftbläschen tanzen um ihre fröhlichen Augen. Sie zieht ihn mit sich und herab. Will sie ihn ertränken oder nicht verlieren? Schließt das eine das andere aus? Ist ein Toter der treuere Geliebte? Lässt sich mitreißen, erlebt den Sog und die Ruhe von Wassermassen über sich. Das Licht an der Wasseroberfläche, das mit jedem Meter Tiefe an Stärke verliert. Wohin sie ihn führt? Wie es ist, mit einer Liebe zwischen zwei Welten? Gab es jemals auf der Welt etwas anderes, als Liebe zwischen zwei Welten? Als sinnloser Versuch der Weltverschmelzung. Gibt sich der Schwerelosigkeit hin. Während immer noch um sie herum Luftblasen tanzen. Wobei hier nichts ferner ist als Luft. Was ihn nicht stört, irritierenderweise.