Bahnreisen

Über infantile Anspruchshaltungen.

Text: Götz Paschen

Ich mag Leute, die meckern. Das hilft. Wer meckert, verändert die Welt. Der schafft was. Je mehr Leute meckern, umso besser wird es. Wenn Sie selten Leute treffen, die meckern, fahren Sie öfter Bahn. Da finden Sie welche. Meist regen die sich über Verspätungen auf. Je mehr man sich über Verspätungen aufregt, umso eher kommt der Zug, auf den man wartet. Das ist der Vorteil.

Sehnsucht
Ein Fahrplan soll eine ausnahmslose Verbindlichkeit garantieren. Von Übervätern gestrickt. Für Purzelmännchen und –weibchen, die in dieser unübersichtlichen Welt eine letzte Bastion von Sicherheit suchen. Und die sich in kindlicher Naivität damit an Fahrplanzeiten des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs wenden. Weil ja auch sonst auf dieser Welt alles genauso klappt wie verabredet: Einmal verheiratet – nie geschieden. Einmal vor Gericht – schon Gerechtigkeit. Einmal gewählt – alle Wahlversprechen eingehalten. Wo Sie hinschauen: Verbindlichkeit, funktionierende Systeme, vollverantwortliche Gegenüber – ausnahmslos! Willkommen in der Realität. Ist das eine Freude. Mit maschinentechnischer Zuverlässigkeit: Die laufen ja erfahrungsgemäß auch ewig, unverwüstlich, zuverlässig. Da baut kein Hersteller Selbstzerstörungsmechanismen ein, um rechtzeitig wieder Umsatz zu machen.

Unfälle
Nach einem Suizid am Gleis, kann man durch diesen Abschnitt nicht weiter fahren. Wer da über Verspätung meckert, sollte sich einmal fragen, ob er auf dem Abschnitt nicht auch lieber alle Leichenteile seines Angehörigen vollständig eingesammelt hätte, bevor der Verkehr wieder aufgenommen wird. Beim Autostau meckert keiner bei einem Unfall. Warum dann beim Zug? Es ist doch exakt das Gleiche. - Weder den Böschungsbrand noch die umgestürzten Bäume als Sturmschaden hat die Bahn zu verantworten. So einfach ist das.

Politische Frage    
Wie pünktlich die Bahn fährt, ist auch eine Frage der politischen Weichenstellung. Wer was zu quaken hat, muss eine andere Farbe und Bahnpolitik wählen. So einfach ist das im Leben. Wer Autolobby wählt, fährt auf hübschen Autobahnen und versiegelt indirekt die Landschaft. Für bessere Zugtaktungen und Investitionen in Schienennetz und Bahninfrastruktur sorgt er nicht. Wer selten am Schalter Karten zieht, muss sich nicht wundern, dass Strecken ausgedünnt werden. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Den Dorfladen super zu finden, reicht auch nicht. Wer da nicht kauft, will ihn nicht. Wer öfter tankt als Bahnkarten kauft/abonniert, muss über sinkende Schienenattraktivität nicht jammern.

Fliegen
Wenn die Lufthansa wegen Streiks wieder einmal 100 Flüge streicht, ist das inzwischen ganz normal. Erfreulicherweise sind die Lokführer nicht so streikfreudig wie die Piloten und Flugbegleiter. Da könnten sich Verspätungsmeckerer doch auch einmal drüber freuen. Meistens geht es mit der Bahn doch kurz drauf weiter. Da fällt selten länger viel komplett aus.

Menschen
Und dann möchte ich die Meckerer gerne einmal zwei / drei Tage bei der Arbeit besuchen. Sicherlich sind die immer 100 % pünktlich mit allen Themen am Arbeitsplatz: Klare Zusagen, hohes Arbeitsvolumen, null krank, volle Verbindlichkeit, stets freundlich, zugewandt und leistungsbereit. So kennen wir unsere arbeitenden Mitmenschen. Ich würde da ganz gerne mal Mäuschen spielen. Mäuschen mit Hupe. Und immer auf die Hupe drücken, wenn der Meckerer dann mal Fünfe gerade sein lässt, etwas verschiebt, Termine absagt oder verlegt … Ich persönlich verlange von anderen nie mehr als von mir selbst. Und schon mit dieser Anspruchshaltung gerate ich häufig in Schwierigkeiten. Warum soll ausgerechnet die Bahn perfekt arbeiten, wenn es schon sonst keiner tut? Und wenn mir dann einer kommt, dass die Zugtaktung in Ausnahmeländern in irgendwelchen halbtotalitären asiatischen Staaten funktioniert, kann ich darauf verzichten.

Torftipp: Sich locker machen. Realistisch bleiben in der Anspruchshaltung.